Transnistrien im Fokus der Großmächte
Vor 20 Jahren erlangte die ostmoldawische Region Transnistrien die faktische Unabhängigkeit von der Regierung der Hauptstadt in Chisinau. Mit Hilfe der Armee der Russischen Föderation stoppten die transnistrischen Milizen das Vorhaben Rumäniens und Moldawiens, die Region wiederzuerobern. Seit dem Waffenstillstand vom 21. Juli 1992 wurde die besondere Situation einer faktischen Souveränität bei ausbleibender internationaler Anerkennung etabliert, die bis heute anhält. Heute gilt Transnistrien als Vorposten russischen Einflusses in Südosteuropa und Hemmnis für die Zentralregierung in Moldawien, die in Richtung NATO und EU strebt. Doch der „kalte“ Transnistrienkonflikt prägt nicht nur den Einflusskampf zwischen Ost und West, sondern auch den zwischen Deutschland einerseits und den atlantisch ausgerichteten Staaten in Europa sowie den USA andererseits.
Vorgeschichte
Das heutige Moldawien, ausgeschlossen der Gebiete östlich des Dnjestr, war in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Teil eines großrumänischen Staates. Eine „einheitliche Geographie des rumänischen Volkes wurde im 19. Jahrhundert entworfen […].“ Großrumänien schloss Moldawien mit ein. Hierbei diente „als Nordgrenze Moldawiens der [Dnjestr].“[1] Die Sowjetunion, die Moldawien als ehemaligen Teil des russischen Zarenreiches erben wollte, verzichtete trotz der Annexion Bukarests 1918 nicht auf das auch „Bessarabien“ genannte Territorium. Als institutionalisierter Anspruch gründete Moskau 1924 die „Autonome Sozialistische Sowjetische Republik Moldawien“ (ASSR Moldawien) östlich des Dnjestr, eines Zuflusses des Schwarzen Meeres. Dort lebten hauptsächlich Ukrainer und Russen neben Bulgaren, Gagausen und Rumänen/Moldawiern. Im Zuge der Interessensphärenaufteilung zwischen der Sowjetunion und dem Dritten Reich annektierte Moskau Moldawien im Jahr 1940 und schloss das Gebiet mit der sowjetischen ASSR Moldawien zusammen. Nachdem im Zweiten Weltkrieg Großrumänien bis auf die Gebiete bis zum Südlichen Bug in der Mittelukraine angeschwollen war, stellte die Sowjetunion nach 1945 im Wesentlichen die Grenzen von 1940 wieder her. Moldawien, mit einem vornehmlich slawisch besiedelten Osten am Dnjestr-Fluss, fand sich im Unionsverband wieder und blieb bis 1991 im Verbund der UdSSR.
Ende der 1980er Jahre gründete sich in Kernmoldawien die Oppositionsbewegung „Volksfront“, die unter anderem von westeuropäischen rumänischen Exilanten, die in der Zwischenkriegsrepublik Mitglieder der faschistischen Eisernen Garde waren, unterstützt wurde.[2] Einflussreiche Teile der moldawischen „Volksfront“ forderten den Anschluss an Rumänien. Als ersten Schritt verabschiedete das Parlament in Chisinau ein Sprachengesetz, welches Rumänisch zur Staatssprache machte und viele russisch- und ukrainischsprachige Moldawier außen vor ließ. Beim sowjetischen Referendum über die Beibehaltung des Unionstaates boykottierte Moldawien die Abstimmung – in Transnistrien dagegen stimmte die Bevölkerung ab und sprach sich mehrheitlich für die Union aus. Östlich des Dnjestr hatte mittlerweile eine „Union der Arbeiterkollektive“ die Macht übernommen.
Die Bedeutung des schmalen transnistrischen Landstreifens wird deutlich, bedenkt man den wirtschaftlichen Stellenwert des Gebietes: Auch wenn dort lediglich 17% der Bevölkerung wohnten, zeichnete das industriell geprägte Territorium in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg für 90% der Energieproduktion Moldawiens sowie etwa ein Drittel der industriellen Produktion verantwortlich.[3] Das transnistrische Kraftwerk Kuchurgan zählt bis heute zu den wichtigsten seiner Art in ganz Europa – transnistrischen Strom aus dieser Anlage exportieren russische Firmen nach Rumänien, Moldawien, in die Ukraine und sogar bis nach Russland. Auch aus dem 1992 umkämpften mitteltransnistrischen Dubasari-Damm beziehen bis heute viele Moldawier ihren Strom.
Transnistrienkrieg und der „kalte Friede“
Der militärische Konflikt zwischen Moldawien und der abtrünnigen Region Transnistrien im Jahr 1992 kann als einer der kürzesten im post-sowjetischen Raum bezeichnet werden, er gilt jedoch als besonders brutal geführt. Viereinhalb Monate kämpfte die östliche Region des Landes um ihre Souveränität. Hierbei unterstützten russische und ukrainische Kosakenverbände und andere Freiwilligenformationen die transnistrische Armee – auf moldawischer Seite halfen rumänische Freiwillige und Militärberater. Circa 2.200 Menschen fanden im Verlauf des Transnistrienkrieges den Tod. Kriegsentscheidend war die Rolle der 14. sowjetischen Armee, die zur 14. russischen Armee transformiert wurde. Dieser militärische Großverband hatte seinen Sitz eigentlich in Chisinau, ab Mitte der 1980er Jahre jedoch in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol. Die 14. Armee griff auf der transnistrischen Bürgerkriegsseite ein und beendete den Krieg, nicht aber den Konflikt.
Nach dem Ende des Waffengangs etablierten die Konfliktpartner eine dreiseitige ‚Gemeinsame Kontrollkommission‘, bestehend aus der ehemaligen 14. russischen Armee, Soldaten Transnistriens und Moldawiens sowie seit 1998 auch aus 10 Militärbeobachtern der Ukraine. Die Konfliktparteien nahmen Verhandlungen auf, die seit 2005 im Format „5+2“[4] unter der Schirmherrschaft der OSZE stattfinden. Auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 sicherte die Russische Föderation zu, ihre Truppen bis 2002 aus Transnistrien abzuziehen – hielt dieses Versprechen jedoch nicht.
Transnistrien war nicht die einzige Region mit ethnisch-territorialen Konflikten mit der Zentralregierung in Chisinau. Als erste Territorialeinheit im Land erklärte die südmoldawische Region Gagausien 1990 ihre Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu Transnistrien kam es in Gagausien nur zu kleineren Kämpfen. 1994 fanden rumpfmoldawische und gagausische Vertreter eine Lösung für die Gagausien-Frage und garantierten dem Gebiet territoriale Autonomie. Doch im turkbevölkerten Süden Moldawiens regt sich seitdem weiter Widerstand gegen die moldawische Zentralregierung. Oppositionelle Gagausier fanden unter anderem in Transnistrien einen Exilort.[5] Engere kulturelle Beziehungen baute Gagausien mit der Türkei auf.[6] Diplomatisch ging das gagausische Selbstverwaltungsparlament auf einen Konfrontationskurs zu Chisinau und erkannte die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens nach der russischen Militäroperation gegen Georgien im Jahr 2008 an.[7] Damit stellten die gagausischen Parlamentarier klar, dass sie die postsowjetischen Grenzen durchaus noch als veränderbar begreifen.
Moldawische Westbindung
In den vergangenen beiden Jahrzehnten strebten die moldawischen Regierungen politisch in Richtung Westen. 1994 unterzeichnete Moldawien als zweites GUS-Land überhaupt eine ‚Partnerschaft für den Frieden‘ (PfP)-Vereinbarung mit der NATO. Einen Beitritt Moldawiens zur NATO strebt die derzeitige Regierung zwar nicht an, jedoch nehmen die moldawischen Streitkräfte regelmäßig an NATO-Militärmanövern teil. Im Gegensatz zum transatlantischen Militärpakt strebten die verschiedenen moldawischen Regierungen der letzten Jahre deutlich einen Beitritt des Landes zur EU an. Bei der Westbindung setzten die Politiker in Chisinau nicht nur auf Brüssel, sondern auch auf Washington. Für besondere internationale Aufmerksamkeit sorgte die Gründung des GUUAM-Bündnisses[8] im Jahr 2001, in dem sich die pro-westlichen Regierungen der GUS-Staaten zusammenschlossen. Moldawien war unter der „kommunistischen“ Regierung Vladimir Voronins einer der Gründungsstaaten dieses Bündnisses. GUUAM, nach dem Austritt Usbekistans im Jahr 2005 nur noch GUAM, strebt die Schaffung von Energiekorridoren unter Umgehung Russlands mit aktiver Unterstützung der USA an.
Neben den USA, die seit 1999 den rumänischen Flughafen Mihail Kogilniceanu als Militärbasis nutzen, hat auch die Europäische Union ein „Sicherheitsengagement“ im Nordwesten des Schwarzen Meeres etabliert. Seit November 2005, als in Chisinau und Kiew gleichzeitig pro-westliche Regierungen an der Macht waren, arbeiten über 100 EU- Grenzschutz- und Zollbeamte in Kern-Moldawien und der Ukraine, um den Schmuggel nach und von Transnistrien zu unterbinden. Leiter der EU-Grenzmission namens EUBAM ist derzeit der ehemalige Inspekteur der deutschen Bundespolizei Udo Burkholder.
Versandende Lösungsinitiativen
Während Kern-Moldawien eine wirtschaftliche, politische und militärische Annäherung an EU und NATO forcierte, stabilisierte sich Transnistrien als international nicht anerkannter Staat unter der Protektion Russlands. Moskau liefert verbilligte Gaslieferungen an Transnistrien und deckt 70% des jährlichen Budgets der Regierung in Tiraspol. In letzter Zeit schien Russland den Status Transnistriens als Vorposten Moskaus in Südosteuropa auch im Raketenschirmstreit mit der NATO ausnutzen zu wollen. Neben einem Radar des Typs Woronesh in Kaliningrad erwägt die Kreml-Regierung laut russischen Presseberichten die Stationierung eines Frühwarnsystems gleichen Typs sowie Boden-Boden-Raketen des Typs Iskander in Transnistrien.[9]
Im Zuge des vergangenen Jahrzehnts kam es zu zwei Lösungsvorschlägen, die den umstrittenen Status Transnistriens hätten klären können. Im so genannten ‚Kozak-Memorandum‘ von 2003 schlug der damalige russische Vizechef der Moskauer Präsidialverwaltung, Dmitri Kozak, eine „asymmetrische“ Föderalisierung Moldawiens unter Gewährleistung von Autonomieregelungen für Gagausien und Transnistrien sowie einen 30-jährigen Aufenthalt russischer Truppen in dem Land vor. Die Staatschefs Moldawiens und Transnistriens sprachen sich Mitte November 2003 für diese Regelung aus. Doch durch eine Intervention des US-Botschafters in Chisinau scheiterte der Plan.[10] Die USA präferieren einen Rückzug der russischen Soldaten und einen damit einhergehenden Einflussverlust Moskaus.
Ein anderer von der derzeitigen pro-westlichen Regierung Moldawiens favorisierter Vorschlag sieht einen „Gebietsaustausch“ Transnistriens mit anderen Territorien der Ukraine vor. In der an Moldawien grenzenden ukrainischen Oblast Tscherniwzi gibt es mehrere Kreise mit rumänischer bzw. moldawischer Bevölkerungsmehrheit. Für heftige Reaktionen seitens der Ukraine sorgten Äußerungen des moldawischen Parlamentspräsidenten Ghimpu, der retrospektiv den Austausch von Teilen Bessarabiens und der Bukowina mit Transnistrien als bessere Lösung der ethnisch-territorialen Probleme der Region bezeichnet hatte.[11] Mihai Ghimpu war zu dem Zeitpunkt provisorisches Staatsoberhaupt Moldawiens.
Im Jahr 2009 wählten die Moldawier zwei Mal ihr Parlament, da beim ersten Anlauf keine für die Regierung notwendige Mehrheit zustande kam. Begleitet wurde die Zeit des „Interregnums“ durch Massendemonstrationen und Gewaltexzesse in Chisinau. Die moldawische Regierung sah die lange Hand Bukarests hinter den Protesten und verwies rumänische Journalisten des Landes.[12] Kritiker der US-Außenpolitik sahen auch Vorfeldorganisationen der Washingtoner internationalen Politik hinter den Ereignissen die Fäden ziehen.[13] Die zweite Parlamentswahl brachte den Kommunisten die größte Fraktion in der moldawischen Legislative, der selbst erklärten „Allianz für die europäische Integration“ (AEI) jedoch eine knappe Mehrheit. Obwohl die AEI nicht die erforderlichen Stimmen hatte, um einen neuen Präsidenten zu wählen, verabschiedete sich Vladimir Voronin von seinem Amt. Nach dem Abtritt von Präsident Voronin von der Kommunistischen Partei der Republik Moldau (PCRM) im Jahr 2009 kam wieder Bewegung in die Transnistrienfrage. Auf Voronin folgte das kommissarische Staatsoberhaupt Mihai Ghimpu – die Regierung in Chisinau stellt seitdem parallel die mit ihm verbündete AEI. Teile dieses Regierungsbündnisses streben offen den Beitritt zu Rumänien an, sozusagen als kürzesten Weg in die EU und NATO. Auch Ghimpu selbst hat zugegeben, so genannte „unionistische“ Ansichten zu haben – STRATFOR-Analytiker bezeichnen ihn als „Schoßhündchen“ des rumänischen Präsidenten.[14] Auf der rumänischen Seite steht der rechte Teil des politischen Spektrums solch einer Idee nicht abgeneigt gegenüber: Der liberalkonservative rumänische Präsident Traian Basescu plädiert seit Beginn seiner ersten Amtszeit 2004 immer wieder für eine „Wiedervereinigung“ der „zwei Staaten“, die eigentlich eine „Nation“ darstellten. Der moldawische Präsident Voronin sprach wegen solcher Äußerungen Basescus in seinem letzten Amtsjahr von einer „permanenten Aggression“ der rumänischen Staatsführung.[15]
Deutsche Einflusspolitik
Die Rückkehr der Unionisten an die Regierung in Moldawien hat also wieder Bewegung in die Transnistrienfrage gebracht. Im Zuge des so genannten „Meseberg-Memorandums“ zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Medwedew einigten sich die beiden Spitzenpolitiker im Juni 2010 auf einen Prozess, der letztendlich zur Lösung der Transnistrienfrage im moldawischen Staatsverband beitragen soll. Kritiker bemerkten, dass diese Annäherung Moskaus und Berlins nicht mit anderen EU-Staaten abgesprochen war[16] und die USA vollkommen außen vor lässt.[17] Die Politik der Berliner Regierung ist keine Überraschung. Bereits im Falle des Machtwechsels in Kirgisistan im Jahr 2010 schien es die Position der Bundesregierung zu sein, russische Einflussgewinne zu akzeptieren, sofern sie gleichzeitig die Juniorrolle Deutschlands in der Region stärken.[18]
Eine von Berlin und Moskau vermittelte Lösung könnte sein, Transnistrien fünf bis 15 Prozent der Parlamentsmandate in Chisinau zu geben. In solch einem Fall könnten die mittlerweile wieder als pro-russisch geltenden Kommunisten Moldawiens gemeinsam mit den transnistrischen Parlamentariern die Mehrheit und somit auch wieder die Regierung stellen. Im transnistrischen Parlament hat derzeit die „Erneuerungspartei“ des amtierenden Präsidenten des Gebietes die Mehrheit – die „Erneuerer“ kooperieren mit der Partei „Einiges Russland“ von Vladimir Putin.[19] Eine pro-russische Mehrheit im Gesamtstaat wäre somit gesichert.
Die Kritik von verschiedenen deutschen und rumänischen Atlantikern an der deutschen Annäherung an die Russische Föderation öffnete eine neue Dimension im geopolitischen Spiel um Moldawien/Transnistrien: Nicht nur Ost und West ringen um Einfluss in dem Gebiet, sondern auch die westlichen Mächte untereinander. Wie von Wikileaks veröffentlichte interne Mails des US-Privatgeheimdienstes STRATFOR offenbaren, hat die deutsche Regierung auch schon ihren Partner in Chisinau für eine Annäherung Moldawiens und Transnistriens gefunden: Premier Vlad Filat sei weder pro-russisch noch pro-westlich – sondern nur „pro-er selbst“.[20]
Nachdem Deutschland eine Strategie und Verbündete für eine eigene Rolle im Transnistrienkonflikt gefunden hatte, erhöhte auch Moskau den Druck. Vor der Abwahl des transnistrischen Präsidenten im Jahr 2011 kamen Gerüchte auf, dass die russische Seite den transnistrischen Präsidenten Igor Smirnow zunehmend unter Druck setze, die 5+2-Gespräche wiederaufzunehmen.[21] Die Verhandlungen bei der OSZE ruhten damals seit fünf Jahren. Trotz eines EU-Einreiseverbots kam im selben Jahr das Oberhaupt der transnistrischen Separatistenrepublik nach Bad Reichenhall, um sich unter deutscher Vermittlung mit dem moldawischen Premier Vlad Filat zu treffen.[22] Beide Seiten des moldawischen Konfliktes einigten sich bei dieser Gelegenheit auf bilaterale Verhandlungen.
Schwieriger Verhandlungsprozess
Der im Juni 2010 gestartete deutsch-russische Meseberg-Prozess galt schon nach einem Jahr als ins Stocken geraten. Zwar hielt die Bundesregierung Soldaten bereit, die als Inspektoren nach Transnistrien verlegt werden könnten, wie im Rahmen des Meseberg-Prozesses vorgesehen[23], doch eine schnelle Lösung des Konfliktes trat nicht ein. Mächtige Interessengruppen in der Region haben eher ein Interesse an der Beibehaltung des Status quo.
Eine Interessengruppe, deren Wünsche oft missachtet wird, ist die der ukrainischen Stahlbarone. Ungefähr ein Drittel des in Transnistrien investierten Kapitals stammt aus dem östlichen Nachbarland[24] – und mit der Regierungsübernahme Viktor Janukowitschs im Februar 2010 sind in der Ukraine wieder die Stahlbarone an der Macht, die am meisten ein wirtschaftliches Interesse in Transnistrien haben.[25] Im Gegensatz zur pro-westlichen Regierung in Kiew vor 2010 steht die Regierung Janukowitsch im Einflusswettstreit um Transnistrien auf der russischen Seite.[26]
Als Rückschlag empfand die moldawische Zentralregierung die Ernennung Dmitri Rogosins zum russischen Sondergesandten für Transnistrien im Frühjahr 2012. Der Linksnationalist ist Vizepremier in der russischen Regierung und damit ein diplomatisches Schwergewicht. Außerdem führte der Ex-Botschafter Russlands bei der NATO im Transnistrienkrieg 1992 eine Gruppe russischer Freiwilliger an, die gegen die moldawischen Truppen kämpften. Parallel zur Ernennung Rogosins beauftragte das Tandem Medwedew-Putin Sondergesandte für die Regionen Abchasien und Südossetien, deren Unabhängigkeit Russland nach dem georgischen Waffengang 2008 anerkannt hat. Die Parallelität ließ in Chisinau aufhorchen, direkte institutionelle Verbindungen Russlands mit Transnistrien scheinen nun möglich.[27]
Der russische Vizepremier äußerte sich auch eindeutig, was die russische Truppenpräsenz in der Region angeht – sein Land sei das einzige mit einem Recht auf Friedenstruppen in dem Gebiet. Bei einem Besuch in Tiraspol sprach sich Rogosin für die Eröffnung eines russischen Konsulates in Tiraspol, mehr russische Investitionen in der Region und eine Modernisierung des Waffenarsenals der russischen Truppen aus. Im Warschauer ‚Zentrum für Oststudien‘ geht der Experte Witold Rodkiewicz davon aus, dass Russland derzeit eine „Taiwanisierung“ Transnistriens anstrebt.[28] Die Äußerungen und Handlungen Rogosins deuten in diese Richtung. Zuletzt trat er gemeinsam mit dem transnistrischen Präsidenten Jewgeni Schewtschuk auf einer gemeinsamen Pressekonferenz auf, die den Eindruck hinterließ, Transnistrien sei bereits anerkannt und unabhängig.[29] Die offizielle russische Position unter Rogosin ist nun wieder, dass Moskau eine Föderalisierung Moldawiens verlangt.[30] Der russische Vizeaußenminister Grigori Karasin stellte in letzter Zeit mehrmals klar, dass die ‚Kozak-Memorandum‘-Lösung ideal wäre.[31]
Doch nicht nur den russischen Einfluss in Transnistrien will die russische Staatsführung weiter festigen. In Rumpfmoldawien legt die russische Politik ein „extensives und facettenreiches“ Vorgehen an den Tag, um die „geopolitische Ausrichtung des Landes umzudrehen“, so das polnische ‚Zentrum für Oststudien‘.[32] Diese Politik fügt sich in die Fokussierung auf den Raum der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ein, die Vladimir Putin in seiner dritten Amtszeit anlegt.
Ein Einflussgewinn Russlands in Moldawien passt dem Westen allgemein (außer bis zu einem gewissen Grad Deutschland, wie beschrieben) und den USA speziell gegenwärtig überhaupt nicht ins Konzept. In Rumänien ist der atlantische Präsident Traian Basescu derzeit heftigen Angriffen einer Regierungsallianz aus Nationalliberalen und Sozialdemokraten ausgesetzt. Im Gegensatz zum Staatsoberhaupt präferiert die sozialliberale Allianz eine pragmatische Außenpolitik, die stärker auf Russland setzt.[33]
Wegen des sich nun verändernden Afghanistankonfliktes und bilateralen Problemen mit Pakistan sind die USA aber zunehmend auf Russland angewiesen und haben deshalb derzeit kein Interesse, dem russischen Einflussausbau allzu massiv entgegenzutreten.[34] In Washington setzt man wohl darauf, dass verbündete Regierungen in Litauen, Polen und Großbritannien die US-Position vertreten.[35] Nach der Bereitstellung eines Transport-Punktes für die NATO im russischen Uljanowsk äußerten Kommentatoren den Verdacht, Russland lasse sich diese Kooperation nicht nur mit Geld, sondern auch mit „geopolitischen Konzessionen“ bezahlen.[36] Eine „Wiedereingliederung“ Moldawiens in die russische Einflusssphäre könnte solch ein Zugeständnis sein.
Lokale Lösungen statt Schauplatz der Großmachtpolitik
Der Transnistrienkonflikt innerhalb Moldawiens sowie die Gagausienfrage und die geopolitische Ausrichtung Moldawiens allgemein sind hochkomplexe Angelegenheiten. Mehrere äußere Länder, wie Russland, Rumänien, Deutschland, die Vereinigten Staaten, die Ukraine und die Türkei, haben unterschiedlich gelagerte Interessen in dem südosteuropäischen Land. Ob eine Lösung des größten ethnisch-territorialen Konfliktes zwischen Chisinau und Tiraspol realistisch ist, bleibt weiterhin unklar. Ein wesentliches Problem besteht in den Ambitionen, dass solch eine von Moskau und Kiew forcierte mögliche Lösung auf eine geopolitische Neuausrichtung des Landes hinauslaufen würde. Denn ob die westlichen Mächte zu solch einem Einflussverlust bereit sind, bleibt unklar – Militärpräsenzen, Polizeimissionen und einseitige politische Parteinahmen in der Region deuten eher auf das Gegenteil hin.
Insofern könnte es für die Konfliktparteien sinnvoll sein, sich auf die moldawische Verfassung zu besinnen, die das Land auf die strikte Neutralität verpflichtet. Streng genommen schließt dies russische Truppen im Land ebenso aus wie eine Teilnahme an dem NATO-Programm Partnerschaft für den Frieden (oder in letzter Konsequenz auch eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die mittlerweile auch ein Militärbündnis ist).
Die Absage beider lokaler Konfliktparteien, im Gerangel der Großmächte als Schauplatz zu dienen, könnte wiederum den Weg für lokale Lösungsmöglichkeiten frei machen, die nicht von außen torpediert werden – dies wäre zumindest das ideale Szenario. Dass dies durchaus Erfolg zeitigen könnte, zeigt, dass der erste Regierungswechsel in der Geschichte Transnistriens neue Bewegung in die moldawisch-transnistrischen Beziehungen brachte. Ende April 2012 nahm die moldawische Eisenbahn zum ersten Mal seit sechs Jahren den moldawisch-ukrainischen Eisenbahnverkehr wieder auf. Durch den direkten Weg können moldawische Züge einen Umweg von bis zu 400 km vermeiden. Die Einigung kam nach Treffen von transnistrischen und moldawischen Spitzenpolitiker ohne die Vermittlung von außen zustande, wie Filat erklärte.[37] Dies könnte eine Blaupause für die weiteren Versuche darstellen, zu einer Lösung des Konfliktes zu gelangen – sofern die an Eigeninteressen orientierten Großmächte dies zulassen.
Anmerkungen
[1] Georgeta Daniela Oancea: Mythen und Vergangenheit – Rumänien nach der Wende, Diss., München 2005, S. 85/86.
[2] Vladimir Solonari im Gespräch mit Hannes Hofbauer, in: Hannes Hofbauer: Transnistrien: Niemandsland Am Dnjestr – Europas inexistente Republik an der Schnittstelle zwischen Ost und West, in: Hannes Hofbauer: Mitten in Europa: Politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien, Wien 2006, S. 130.
[3] Trevor Waters: Russian peacekeeping in Moldova: Source of stability or neo-imperialist threat?, in: John MacKinlay; Peter Cross (Hgg.): Regional Peacekeepers: The Paradox of Russian Peacekeeping, New York/Paris 2003, S. 135.
[4] EU, USA, Russland, Ukraine und OSZE (5) sowie Moldawien und Transnistrien (2).
[5] Hofbauer: Transnistrien: Niemandsland Am Dnjestr, S. 141.
[6] Thomas Gassler: Die Gagausen – Eine mustergültige Minderheit, Eurasisches Magazin, 04.11.2009.
[7] Gagauzia’s Parliament recognizes Abkhazia and South Ossetia, 19.09.2008, www.regnum.ru/english/1057573.html.
[8] Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien.
[9] Irina Wolkowa: Trumpfkarte Transnistrien?, Neues Deutschland, 20.04.2012.
[10] Hofbauer: Transnistrien: Niemandsland Am Dnjestr, S. 146/147 sowie Wolfgang Grabowski: Russland auf dem Weg zu neuer Macht, Berlin 2008, S. 11.
[11] Manfred Schünemann: Kiew blickt mit Sorge nach Chisinau, Neues Deutschland, 06.10.2010.
[12] Moldawien weist drei rumänische Journalisten aus, 09.04.2009, de.rian.ru/post_soviet_space/20090409/120995293.html.
[13] José Miguel Alonso Trabanco: Who is behind Moldova’s Twitter Revolution?, 11.04.2009, www.globalresearch.ca/who-is-behind-moldova-s-twitter-revolution/.
[14] INSIGHT – MOLDOVA – part 1 – Internal fight & Russia’s hand, STRATFOR-E-Mail vom 01.10.2010.
[15] Ulrich Schmid: Spannung zwischen der Moldau und Rumänien, Neue Zürcher Zeitung, 21.12.2007.
[16] Stefan Meister: Deutsche Ostpolitik – Ist eine Partnerschaft mit Polen möglich?, DGAPanalyse September 2011, S. 4.
[17] Ein Testlauf für Eurasien, 05.09.2011, www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58134.
[18] Die Grenzen amerikanischer Einflussnahme, 26.04.2010, www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57793.
[19] Edinoros.ru: Pridnestrovie expresses thanks to the United Russia party for its support, 25.05.2010, eng.obnovlenie.info/news.php?id=247.
[20] [alpha] INSIGHT – Russian & German deal over Moldova, STRATFOR-E-Mail vom 16.06.2011.
[21] Moskau setzt Transnistriens Republikchef unter Druck – „Kommersant“, 12.09.2011, de.rian.ru/post_soviet_space/20110912/260552805.html.
[22] Ebenda.
[23] Antwort der Bundesregierung, Deutscher Bundestag Drucksache 17/8239.
[24] Transnistrian Problem: A View from Ukraine, Strategic and Security Studies Group, Kiew 2009, S. 25.
[25] Alyona Getmanchuk: The EU and Conflicts in the Eastern Partnership – A view from Ukraine, HBS 22.09.2010.
[26] Ukraine supports the Russian position on Transnistria, Centre for Eastern Studies, 19.05.2010.
[27] Vladimir Socor: Rogozin Institutionalizing Direct Relations with Transnistria, Eurasia Daily Monitor, Jg. 9, Nr. 79.
[28] Witold Rodkiewicz: Russia’s strategy towards Moldova: continuation or change?, OSW Commentary, 19.04.2012.
[29] Vladimir Socor: Putin Suggests Transnistria Self-Determination, Rogozin Displays Transnistria Flag, Eurasia Daily Monitor, Jg. 9, Nr. 149.
[30] Vladimir Socor: Russia Multiplies Conditions for Conflict-Resolution in Moldova, Eurasia Daily Monitor, Jg. 9, Nr. 145.
[31] Vladimir Socor: ‘Federalization’ Is Back on Russia’s Agenda for Moldova, Eurasia Daily Monitor, Jg. 9, Nr. 145.
[32] Rodkiewicz: Russia’s strategy towards Moldova: continuation or change?.
[33] Vladimir Socor: Voice of Russia Campaigns for Removal of Romanian President Basescu, The Jamestown Foundation – Hot Issue, 20. August 2012.
[34] [alpha] INSIGHT – Russian & German deal over Moldova, STRATFOR-E-Mail vom 16.06.2011.
[35] Ebenda.
[36] Streitkräfte und Strategien, NDR Info 28.07.2012.
[37] Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht Republik Moldau, 1/2012.
IMI-Analyse 2012/021, in: AUSDRUCK (Oktober 2012), veröffentlicht am: 11. Oktober 2012. Hier als PDF