In einem seltenen Beispiel offenen Widerspruchs gegen Deutschland protestiert der Finanzminister Luxemburgs gegen den Ankauf gestohlener Bankkundendaten durch deutsche Behörden. Deutschland und die Schweiz sollten ihren Steuerstreit durch das vorgesehene Abkommen lösen: Die vom deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen praktizierte Methode, mit dem Erwerb illegaler Daten eine Straftat nach Schweizer Recht zu begehen, um deutsche Staatsbürger des Steuerbetruges zu überführen, könne er als „Freund beider Seiten“ nicht begrüßen, erklärt Luc Frieden. Der Widerspruch folgt den eigenen nationalen Interessen: Luxemburg wird als Finanzplatz ebenfalls von Deutschen nicht nur genutzt, um höchst profitable Bankgeschäfte abzuwickeln, sondern auch, um ihre Steuern am Fiskus vorbeizuschleusen. Dass Luxemburg überhaupt zu einem herausragenden Finanzzentrum wurde, das hat auch mit der deutschen Wirtschaftsdominanz zu tun, die schon im 19. Jahrhundert außergewöhnlich stark war. Heute führt sie dazu, dass prominente Politiker des Landes als ungemein verlässliche Verbündete der Bundesrepublik gelten.
Im deutschen Zollverein
Luxemburg, auf dem Wiener Kongress 1815 aus der Taufe gehoben, war von Anfang an systematischer deutscher Einflussnahme ausgesetzt. Das Königreich Preußen hatte die militärische „Absicherung“ des Landes übernommen, unterhielt eine Garnison in der Hauptstadt und konnte sich bald, da Luxemburg bis 1866 Teil des Deutschen Bundes war, in die luxemburgische Innenpolitik einmischen. Bereits 1842 trat das Großherzogtum dem Deutschen Zollverein bei und integrierte sich ab 1871 in den Zollraum des Deutschen Kaiserreichs. 1872 und 1902 sicherte sich Berlin darüber hinaus die Kontrolle über die luxemburgische Eisenbahn vertraglich zu.[1] Doch waren wirtschaftliche Dominanz und starker Einfluss auf Teile der staatlichen Verwaltung dem Kaiserreich nicht genug: Im Ersten Weltkrieg strebte Reichskanzler Bethmann-Hollweg die Annektion des Gebietes an.
Die Ursprünge des Finanzplatzes
Tatsächlich besetzte das Deutsche Reich 1914 das neutrale Großherzogtum und integrierte es vollends in die deutschen Wirtschafts- und Militärstrukturen. Nur die als „deutschfreundlich“ geltende Großherzogin blieb im Amt. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg trat Luxemburg, das seine Selbständigkeit wiedergewonnen hatte, aus dem deutschen Zollverein aus. Wirtschaftlich wurde es zunächst Teil des belgischen und französischen Einflussbereichs; es bildete eine Wirtschaftsunion mit Belgien (Union Economique Belgo-Luxembourgeoise, UEBL), der belgische Franc wurde zur Nationalwährung. Bereits Mitte der 1920er Jahre jedoch gelang es Deutschland, seinen Einfluss auf dem Wege ökonomischer Kooperation wieder zu stärken: Es entwickelte sich zum zweitwichtigsten Handelspartner des Landes. Eingeschränkt durch die Dominanz der ökonomischen Großmächte Deutschland und Frankreich und der Mittelmacht Belgien, die über die UEBL starken Einfluss in Luxemburg ausübte, forcierte die Regierung die Entwicklung des Finanzplatzes Luxemburg – eine Entscheidung, die bis heute nachwirkt.[2]
Unter dem Hakenkreuz
Im Zweiten Weltkrieg wurde Luxemburg erneut vom nun faschistischen Deutschland besetzt. Damit begann, urteilt der Historiker Paul Dostert, „eine fast fünfjährige Leidensperiode“, die in der Geschichte des Landes „einmalig dasteht“.[3] De facto wurde das Land vom Deutschen Reich annektiert. Das Ziel des NS-Reichs gab der stellvertretende Chef der oktroyierten Zivilverwaltung mit der Absicht wieder, „Luxemburg von einer französisierten und liberalistisch-demokratischen Geisteshaltung zu volksdeutschem und sozialistischem Wesen hinzuführen, insbesondere die Quellen des Volksdeutschtums wieder zu Tage zu fördern“. Von den rund 3.900 in Luxemburg lebenden Juden, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich, konnten 750 nicht rechtzeitig entkommen; sie wurden in die deutschen Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Hatte Berlin bereits im Ersten Weltkrieg in der luxemburgischen Bevölkerung Soldaten ausgehoben, ging es im Zweiten Weltkrieg zur Zwangsrekrutierung junger Luxemburger über: 11.000 von ihnen mussten in der Wehrmacht für Deutschland in den Krieg ziehen, bis zu 4.000 von ihnen fanden den Tod.[4] „Die Gesamtbilanz der Toten“, schreibt Dostert, lag mit 5.700 „bei etwa 2 Prozent der Bevölkerung von 1940. Dies ist der zweithöchste Verlust in Westeuropa.“
Strukturwandel
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Bundesrepublik ihren Einfluss auf Luxemburg zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet wieder aus. Bereits wenige Jahre nach Kriegsende war sie zum größten Handelspartner des Landes geworden; der Warentausch zwischen der wiederbelebten belgisch-luxemburgischen Union und der Bundesrepublik wuchs zwischen 1957 und 1970 im Durchschnitt jährlich um 14 Prozent. Dabei vollzogen sich erhebliche Umbrüche: Aufgrund des Niedergangs der luxemburgischen Stahlindustrie avancierte der Bankensektor spätestens in den 1980er Jahren zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor des Landes.[5] Deutsche Finanzinstitute profitierten davon. 1970 etablierte die Deutsche Bank ihre erste rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft außerhalb der BRD – in Luxemburg. Ihr folgten zahlreiche weitere. Der Grund: Luxemburg gilt als das Land, das „wie kein zweites in der EU von den Finanzmärkten profitiert“.[6] Zu seinen Besonderheiten gehört, dass es von vermögenden deutschen Staatsbürgern benutzt wird, um ihre Steuern dem deutschen Fiskus vorzuenthalten. Der luxemburgische Historiker Emile Haag hat die deutschen Finanzaktivitäten in seinem Land einst folgendermaßen charakterisiert: „Wir gedeihen auf den Betrügereien von Deutschen, Franzosen und Belgiern“.[7]
Eingegliedert
Heute steht Luxemburg insgesamt unter deutscher Wirtschaftshegemonie. Die Bundesrepublik führt bei den luxemburgischen Ex- und Importen, von denen sie jeweils rund ein Viertel abdeckt, mit Abstand. Von den über 140 Banken in Luxemburg sind 40 Niederlassungen deutscher Kreditinstitute. Mit der ökonomischen Dominanz geht politischer Einfluss einher: Deutsche Politiker versuchen zum Beispiel, das luxemburgische Sozialstaatssystem mit „deutschen Rezepten“ zu verändern. So beschwerte sich erst dieses Jahr die luxemburgische Staatsbeamtengewerkschaft CGFP (Confédération Générale de la Fonction Publique), dass deutsche Institutionen, unter anderem die „Stiftung Marktwirtschaft“, die „öffentliche Meinung (…) beeinflussen und (…) manipulieren“ – um einen „Generalangriff (…) auf den Sozialstaat und den traditionellen, auf hoheitsrechtlichen Grundsätzen beruhenden öffentlichen Dienst“ durchzuführen.[8] Dem Vorstand der „Stiftung Marktwirtschaft“ gehören unter anderem Bernd Raffelhüschen (Mitglied der „Rürup-Kommission“) und der ehemalige Leiter des Bundestagsbüros des prominenten CDU-Politikers Friedrich Merz, Michael Eilfort, an. Zu den ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern der „Stiftung Marktwirtschaft“ gehört Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Ortsverein Luxemburg
Seit Ende der 1970er Jahre existiert zudem ein „CDU/CSU-Freundeskreis“ in Luxemburg. Bei seinem 30-jährigen Jubiläum war der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker zugegen.[9] Darüber hinaus unterhält die deutsche SPD einen Ortsverein in dem Großherzogtum, der dem SPD-Landesverband Saar angehört. Neben der Parteipolitik nähern sich auch die staatlichen Verwaltungen Deutschlands und Luxemburgs einander an: Innerhalb der „Euroregion Saar-Lor-Lux“ kooperieren die deutschen Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz mit dem Großherzogtum, der französischen Region Lorraine, der belgischen Region Wallonie sowie der deutschsprachigen und der französischsprachigen Gemeinschaft Belgiens.
„Treuester Vasall“
Ganz wie das dominierende Deutschland setzt sich die politische Elite Luxemburgs seit je für den Ausbau der Europäischen Union ein. Das hat mittlerweile ganz praktische Gründe: Im Großherzogtum haben mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), dem Europäischen Rechnungshof (EuRH), der Europäischen Investitionsbank (EIB), dem Sekretariat des Europäischen Parlaments, dem Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, dem Statistischen Amt der Europäischen Union (EuroStat), dem Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union und weiteren Institutionen eine nicht zu vernachlässigende Zahl an EU-Apparaten ihren Sitz. Von der EU hängen deshalb zahlreiche luxemburgische Arbeitsplätze ab. Der deutsch-europäischen Umklammerung kann sich die politische Elite des Landes schon lange nicht mehr entziehen. In ihr gründet beispielsweise die außergewöhnlich zuverlässige Anlehnung des luxemburgischen Ministerpräsidenten und Eurogruppenchefs Jean-Claude Juncker an die bundesdeutsche Politik, die Kritiker zu scharfen Urteilen greifen lässt: Juncker sei, heißt es etwa, „Deutschlands treuester europäischer Vasall“.[10]
Übermächtig
Umso bemerkenswerter ist der Protest des luxemburgischen Finanzministers Luc Frieden an der Praxis des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Schweizer Bankkundendaten illegal zu kaufen [11] – eine Straftat nach Schweizer Recht, die in Luxemburg mit seinem dominanten Finanzsektor sehr aufmerksam wahrgenommen wird. Schließlich trifft die deutsche Rechtsanmaßung im Grundsatz auch das Großherzogtum, das sich dem Druck des übermächtigen Nachbarstaates noch viel weniger als die Schweiz entziehen könnte – wie es die Geschichte der beiden Länder zur Genüge beweist.
[1], [2] Hans-Erich Volkmann: Luxemburg im Zeichen des Hakenkreuzes. Eine politische Wirtschaftsgeschichte 1933-1944, Paderborn/München/Wien/Zürich 2011. S. auch unsere
Rezension
[3] Paul Dostert: Luxemburg unter deutscher Besatzung 1940-45. Die Bevölkerung eines kleinen Landes zwischen Kollaboration und Widerstand, www.zug-der-erinnerung.eu/dostert.html
[4] Willard Allen Fletcher: The German Administration in Luxemburg 1940-1942: Toward a ‚De Facto‘ Annexation, in: The Historical Journal, Jg. 13, Nr. 3 (1970), S. 533-544
[5] Christoph Buchheim: Die Wirtschaftsbeziehungen Westdeutschlands zu Westeuropa (1945-1970), in: Klaus Schwabe, Francesca Schinzinger (Hg.): Deutschland und der Westen im 19. und 20.Jahrhundert: Deutschland und Westeuropa, Stuttgart 1994, S. 39-54
[6] Andreas Wehr: Garantien fürs Finanzkapital, junge Welt 22.08.2011
[7] Jeanne A. K. Hey: Luxembourg’s Foreign Policy: Does Small Size Help or Hinder?, in: Innovation: The European Journal of Social Science Research, Jg. 15, Nr. 3 (2002), S. 211-225
[8] CGFP contra Klassenkampf von oben; www.zlv.lu 23.05.2012
[9] www.cducsu.lu
[10] Otto Köhler: Führerin des Kontinents, junge Welt 30.12.2011
[11] Die Schweiz erhält Schützenhilfe aus Luxemburg; bazonline.ch 04.09.2012
german-foreign-policy.com, 06.09.2012