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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Ein Testlauf für Eurasien (II)

Jüngst veröffentlichte interne Mails eines US-amerikanischen Privatgeheimdienstes belegen die weitreichende strategische Bedeutung eines fast vergessenen Konflikts in Südosteuropa. Wie soeben publizierte Dokumente der US-Firma Stratfor zeigen, betrachtet die US-Regierung deutsche Pläne für eine Wiedervereinigung Moldawiens mit seiner abtrünnigen Region Transnistrien mit erheblicher Skepsis. Hintergrund sind deutsch-russische Absprachen über die Region, die Moskau stärkeren Einfluss in Südosteuropa einräumen, sollten die deutschen Wiedervereinigungspläne zum Erfolg führen. Das Vorhaben gilt als Testlauf für eine weitgespannte europäisch-russische Sicherheitskooperation – unter Ausschluss der USA. Washington versucht gegenwärtig mit Hilfe europäischer Verbündeter, darunter Rumänien, den Deal zu hintertreiben. Deutschland baue, heißt es, die Achse Berlin-Moskau systematisch zur Stärkung seiner eigenen globalen Machtpolitik aus.

Russischer Einflussstützpunkt

Hintergrund der Auseinandersetzungen, die aus den Stratfor-Dokumenten deutlich hervorgehen, ist einerseits die Entwicklung in der kleinen, kaum bekannten ostmoldawischen Region Transnistrien. Diese hat sich 1992 unter dem Namen „Transnistrische Moldauische Republik“ de facto von der moldawischen Zentralregierung in Chisinau abgespalten. In den Sezessionskämpfen hatten die Separatisten Unterstützung aus der Ukraine und aus Russland erhalten, darunter von Teilen der 14. russischen Armee. Der Konflikt endete mit einem Waffenstillstand ohne politische Lösung. Seither sind dauerhaft russische Soldaten in der Region stationiert; es finden multilaterale Verhandlungen zur Konfliktbeilegung statt („5+2-Gespräche“), die kürzlich zum wiederholten Male scheiterten. Transnistrien gilt nach wie vor als vorgeschobener Einflussstützpunkt Russlands in Südosteuropa.

Deutsch-russischer Testlauf

Hintergrund der Auseinandersetzungen sind andererseits zugleich Bemühungen auf oberster Ebene der internationalen Politik, die auf eine deutsch-russische Kooperation unter Ausschluss der USA zielen. Im Sommer 2010 verabschiedeten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew ein Memorandum („Meseberg-Memorandum“), in dem der Aufbau einer gemeinsamen „Sicherheitsarchitektur“ der EU und Russlands vorgeschlagen wurde – „an der NATO und den USA vorbei“, hieß es damals: Ein neues eurasisches „Sicherheitsforum“ könne Moskau einen Einfluss auf EU-Strukturen gewähren, der zumindest den offiziellen Einfluss der USA womöglich überträfe (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Als Testlauf für ein „Europäisch-Russisches Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee“ wurde damals die Lösung des Konflikts um Transnistrien ins Spiel gebracht; sie könne, war zu hören, ein erster Versuch für eine „eurasische“ Sicherheitskooperation ohne die Vereinigten Staaten sein.

Eine Art private CIA

Exklusive Einblicke in die Auseinandersetzungen um die deutsch-russische Kooperation in Sachen Transnistrien bieten interne Dokumente der US-Firma Stratfor, die jüngst von der Internetplattform WikiLeaks veröffentlicht wurden. Experten stufen das texanische Unternehmen als eine Art „private CIA“ ein, die selbst Agenten und Quellen in vielen Ländern führt.[2] Stratfor arbeitet unter anderem für den Nationalen Sicherheitsrat sowie das Marineinfanterie-Korps der Vereinigten Staaten und bildet Geheimdienstagenten fort.[3] Das Unternehmen verfügt über beste Verbindungen in Behörden aller Art und unterhält Kontakte zu hochrangigen Auskunftgebern.

Ein deutscher Vorschlag

Wie es in internen Stratfor-Mails heißt, hätten sich die deutsche Kanzlerin Merkel und der künftige russische Präsident Putin im Sommer 2011 darauf geeinigt, ein wieder mit Transnistrien vereintes Moldawien unter „Moskaus Einfluss“ zu bringen. Offiziell solle ein „deutscher Vorschlag“ eine politische Lösung des Transnistrienkonflikts vorantreiben. Dabei habe man für Transnistrien fünf bis 15 Prozent der Parlamentsmandate in Chisinau vorgesehen; diese Stimmen kämen den derzeit als prorussisch geltenden moldawischen Kommunisten zugute und würden ihnen bei der derzeitigen politischen Lage eine absolute Mehrheit sichern. Im Gegenzug für diese Moskau genehme Lösung dürften EU- oder OSZE-Soldaten in Transnistrien aktiv werden. Als Anreiz für die moldawische Staatsführung biete Deutschland dem südosteuropäischen Land Wirtschaftsinvestitionen und „andere Verbindungen“ an; ein Stratfor-Mitarbeiter beschreibt diese Zugeständnisse als „carrots“, die Moldawien im Sinne einer „Zuckerbrot und Peitsche“-Strategie erhalten solle – als Gegenleistung für die Akzeptanz der russischen Vormacht („sticks“).[4] Moskau legt großen Wert darauf und siedelt die Sache sehr hoch an: Präsident Medwedew hat gestern den Vizeregierungschef Dmitri Rogosin zu seinem Sondergesanten für Transnistrien ernannt.

Dritte Parteien

Die veröffentlichten Stratfor-Dokumente erklären offen, dass „die USA nicht froh“ darüber sind. Allerdings heißt es, die Regierung in Washington sei derzeit in der Moldawienfrage „nicht bereit, den Russen etwas entgegenzusetzen“. Ursache dafür sei der Afghanistan-Krieg, der zwar bis 2014 größtenteils abgewickelt werden solle; doch sei bis dahin für den Nachschub sowie für den Abzug selbst die Unterstützung Russlands notwendig, da Moskau zivile und militärische Transporte über sein Hoheitsgebiet nach und aus Afghanistan zulässt. Deshalb würden, heißt es bei Stratfor, „dritte Parteien“ eingeschaltet, um Druck auf die moldawische Führung auszuüben und den deutsch-russischen Deal zu unterbinden. Dabei handele es sich um die proatlantischen Regierungen Litauens, Polens, Rumäniens und Großbritanniens. Sie sollten, heißt es, den Premierminister Moldawiens, Vlad Filat, davon abhalten, „Selbstmord zu begehen“.[5] Die Vereinigten Staaten, die in Moldawien selbst kaum Einflussinstrumente besäßen, hätten bereits die Regierung Rumäniens motiviert, sogenannte Nichtregierungsorganisationen in Moldawien zu fördern, um Möglichkeiten zur Intervention zu erhalten, doch sei das Vorhaben weitestgehend gescheitert.[6] Ein Stratfor-Mitarbeiter stellt konsterniert fest, „nicht einmal USAID“ habe in Moldawien Fuß gefasst. Die US-Entwicklungshilfeorganisation dient – ganz wie entsprechende deutsche Vereinigungen – den außenpolitischen Zielsetzungen der eigenen Regierung.

Schaltstellen

Stratfor beruft sich unter anderem auf Aussagen der deutschen Diplomatin Patricia Flor, die derzeit als Beauftragte für Osteuropa, Zentralasien und den Kaukasus im Auswärtigen Amt arbeitet. Flor hat demnach gegenüber Stratfor geäußert, sie habe der russischen Seite klargemacht, dass Berlin – sollte Moskau den Transnistrienkonflikt lösen – keine Einwände gegen eine „russische Kontrolle“ über Moldawien äußern werde.[7] Berücksichtigt werden müsse zudem die Ukraine. Das Land hat unter der prowestlichen Regierung von Wiktor Juschtschenko (2005 bis 2010) eine EU-Mission zur Kontrolle der transnistrisch-ukrainischen Grenze aufgenommen, die Transnistrien durchaus spürbar ökonomische Probleme bereitet. Seit dem Regierungswechsel in Kiew ist jedoch davon auszugehen, dass die ukrainische Regierung unter dem aktuellen Präsidenten Wiktor Janukowitsch Russland unterstützt. Unter Janukowitsch ist mit Mikola Asarow ein in Russland geborener Politiker Premierminister geworden, den die westliche Presse als „russophil“ bezeichnet.[8] Leiter der EU-Grenzmission „Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine“ ist derzeit der Deutsche Udo Burkholder, ehemals Inspekteur der Bundespolizei.

Deutsch, nicht europäisch

Mit Janukowitsch und Asarow in Kiew sowie Burkholder als Leiter der EU-Mission in Odessa gilt die Chance für einen deutsch-russischen Deal bezüglich der Region als so groß wie nie. Rumänien, das als US-Verbündeter am ehesten im Sinne Washingtons intervenieren könnte, ist mit seiner Politik in Moldawien gescheitert; den moldawischen Premierminister Filat stuft Stratfor als einen Opportunisten ein, der keine besondere Bindung nach Westeuropa suche.[9] Lediglich politischer Druck seitens Großbritanniens, Polens und Litauens könne jetzt noch den ersten Kompromiss der neuen deutsch-russischen „Sicherheitsarchitektur“ stören, heißt es. Bislang könne man bei dem anvisierten „Europäisch-Russischen Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee“ wohl keinesfalls von einer „europäischen“ Institution reden: „Nur Berlin und Moskau reden dort.“[10]

[1] s. dazu Ein Testlauf für Eurasien
[2] Yazan al-Saadi: Stratfor: Inside the World of a Private CIA; english.al-akhbar.com 27.02.2012
[3] WikiLeaks beginnt mit Veröffentlichung von Stratfor-Dokumenten, de.rian.ru 27.02.2012
[4], [5] [alpha] INSIGHT – Russian and German deal over Moldova, 16.06.2011; wikileaks.org
[6], [7] INSIGHT – MOLDOVA – Part 3 – Germany, US, Romania, Ukraine, 01.10.2010; wikileaks.org
[8] Luke Harding: Ukraine’s new government puts final nail in coffin of the Orange Revolution; guardian.co.uk 11.03.2010
[9], [10] [alpha] INSIGHT – Russian and German deal over Moldova, 16.06.2011; wikileaks.org

german-foreign-policy.com, 22.03.2012

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    --10. Dezember 2014 @ 02:07
  2. Die Ostpolitik der SPD und der aktuellen deutschen Regierung im Lichte der Geschichte und aktuellen Situation der Kapitalfraktionen in Deutschland | Heartland:

    […] [15] Ein Testlauf für Eurasien (II), german-foreign-policy.com 22.03.2012. Hier abrufbar. Hier frei abrufbar. […]

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