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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Ungarn, Ungarn über alles

Historischer Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen in Ungarn

Am vergangenen Wochenende wählten die Ungarn in der ersten Runde einen großen Teil ihres neuen Parlaments und damit auch indirekt die neue Regierung. Die nationalkonservative Fidesz („Bürgerbund“) gewann – wie erwartet – die Abstimmung haushoch mit 52,73 Prozent. Genau wie zu den Europawahlen vergangenes Jahr lag die rechtsextreme Jobbik (16,6 Prozent) kurz hinter den bisher regierenden Sozialdemokraten (19,3 Prozent) und bringt es insgesamt zu einer rechten Mehrheit von vier Fünfteln im Parlament.

Eine kleine Überraschung ist das Einziehen der links-grünen LMP ins Parlament mit 7,4 Prozent („Die Politik kann anders sein“). Die kommunistische Arbeiterpartei errang lediglich 5.606 Stimmen und verfehlte die Fünfprozenthürde mit 0,1 Prozent bei weitem. Noch nicht alle Plätze im Parlament sind entschieden – die Direktkandidaten werden schlussendlich am 25. April gewählt.[1]

Kahlschlag und Europawahlen

Die sozialdemokratische MSZP hat sich in den letzten Jahren besonders unbeliebt gemacht, da sie einen sozialen Kahlschlag ohnegleichen zu verantworten hatte. Übertrumpft wurde ihre neoliberale Politik nur noch durch die Ursache für die Aufstände kurz nach der Wahl im Jahre 2006: Geheim aufgenommene Mitschnitte von Gesprächen des damaligen MSZP-Regierungschefs Ferenc Gyurcsány führten zu massivem zivilen Ungehorsam und bürgerkriegsartigen Szenen in Budapest und anderen Landesteilen. Gyurcsány hatte intern zugegeben, dass die MSZP in der ersten Legislatur nichts erreicht hatte, auf das man stolz sein könne und die Wahlen nur durch Lügen gewonnen werden konnten. Die Sozialdemokraten hatten sich fortan vollkommen delegitimiert – zuletzt regierte eine Regierung unter dem Unternehmer Gordon Bajnai als „neutrale Regierung“.

Und schon die Wahlen zum Europäischen Parlament hatten gezeigt, inwieweit die MSZP das Vertrauen der Wähler verspielt hatte. Die Fidesz erreichte 56 Prozent der Stimmen, die Sozialdemokraten 17 Prozent und die Rechtsextremen der Jobbik 14. Die Sozialdemokraten verloren mehr als die Hälfte aller Sitze in Brüssel; die mit der MSZP regierenden Liberalen sogar alle Sitze. Im neuen Nationalparlament werden sie auch nicht mehr vertreten sein. Von nun an war es eindeutig, dass die Sozialdemokraten keine Chance mehr auf einen Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen 2010 hatten.

Rechte Hegemonie
Besondere Aufmerksamkeit hatte die Gründung der „Ungarischen Garden“ aus der Jobbik im Jahre 2007 erregt. Die Symbolik und Uniformen der Magyar Gárda lehnten sich dabei an die faschistische Pfeilkreuzler-Bewegung an, die sich als SA-Ableger im Zwischenkriegsungarn gegründet und auf Betreiben der Wehrmacht 1944 die Regierung in Ungarn übernommen hatten. Waren die Juden im Land bis dato in Ruhe gelassen worden, gelang es den Pfeilkreuzlern in den letzten Kriegsmonaten noch mehr als eine halbe Million zu töten oder in den sicheren Tod in deutsche KZs zu schicken. Die Gründung der Neuauflage einer solchen Bewegung Anfang des 21. Jahrhunderts lässt auf eine massive rechte Hegemonie in Gesellschaft und Medien schließen.

Die rechtskonservative Fidesz koaliert gerne mit Jobbik auf kommunaler EbeneBerührungsängste zwischen Konservativen und Rechtsextremisten gibt es offenbar nicht. Bis zu 80 Prozent der ungarischen Bevölkerung sind laut Umfragen für rassistische Ressentiments anfällig, und der Antisemitismus nimmt bedrohliche Ausmaße an.

Das Verhältnis von Jobbik und Fidesz ist auch an anderer Stelle von ganz besonderer Natur: bei der Gründung der Rechtsextremen selbst. Jobbik konstituierte sich, nachdem Fidesz die Wahlen 2006 verloren hatte. Der ehemalige recht-konservative Kanzleramtsminister István Stumpf ersann sich eine „Ausgründung“ aus der Fidesz, damit man nunmehr auch Meinungen einfangen könne, die nicht mehr politically correct sind. Vielleicht war man seitens des „Bürgerbunds“ sogar direkt in die Gründung der Jobbik-Bewegung eingebunden, wie gfp vermutete. „(Viktor Orban [2]) hat die Neofaschisten hervorgezaubert. Jetzt werden sie ihm und seiner Partei zeigen, was er selbst früher seinen Gegnern gezeigt hat: wie alt sie aussehen.“ sagte der Holocaustüberlebende György Konrád im Spiegel.

Ungarn, Ungarn über alles…

Und Fidesz-Spitzenkandidat Orbán betont in seinen Reden immer wieder, dass er die Nation „einigen“ will, wie im vergangenem Jahr in einer serbischen Vojvodina-Stadt, in der eine ungarischsprachige Minderheit lebt. Will der Vize-Vorsitzende der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (der auch CDU und CSU angehören) etwa den sogenannten Auslandsungarn die ungarische Staatsbürgerschaft verleihen, wie es die Rumänische Regierung zur Destabilisierung Moldawiens versucht?

Außerdem sprach Orban kürzlich von einem „gemeinsamen ungarischen Wirtschaftsraum“. Was die Fidesz nur andeutet, spricht die Jobbik klar aus – als Teil der Doppelstrategie der Rechten in Ungarn. So schreibt die österreichische Die Presse, dass ein führender Jobbik-Politiker forderte, die künftige ungarische Regierung müsse für eine stärkere nationale „Selbstbestimmung“ der ungarischen Minderheiten in der Slowakei sorgen, damit diese wieder mit dem Mutterland vereint werden könnten.

Die „Ungarische Garde“ wurde zwar 2008 offiziell verboten, treibt dennoch weiterhin ihr Unwesen – und das nicht nur in Ungarn. Bei einem Fußballspiel in der Slowakei kam es im selben Jahr zu Ausschreitungen – mehr als 60 Menschen wurden verletzt, einer von ihnen ernsthaft. Wie dieses Jahr bekannt wurde, rekrutiert die Garde auch Milizionäre in Rumänien. Siebenbürgen gehörte vor dem Ersten Weltkrieg und auch im Verlauf des Zweiten zu Ungarn. Teile von Siebenbürgen und der Südslowakei gehörten nach dem „Wiener Schiedsspruch“ von 1940 zum engsten Verbündeten des „Dritten Reichs“ in Südosteuropa: zu Ungarn. Anlässlich des Jahrestages der Annexion fand 2008 ein Aufmarsch der „Ungarischen Garde“ in einem süd-slowakischen Ort statt – die Polizei schritt ein. „Es ist inakzeptabel, dass ungarische Nazis auf slowakischem Boden in Uniformen marschieren.“, sagte der slowakische Premier Robert Fico noch am selben Tag auf einer außerordentlichen Pressekonferenz.

Blick in die Zukunft

Durch die absolute Mehrheit der Rechten wird sich das gesellschaftliche Klima des Landes wohl noch weiter nach rechts verschieben. Ob dann noch andere als rechte Parteien einen Wahlerfolg erzielen können, ist fraglich. Orban erklärte, er stelle sich auf eine Regierungszeit von 15 bis 20 Jahren ein. Die Beziehungen zu den Nachbarländern Slowakei, Rumänien und Serbien könnten sich noch weiter verschlechtern.

Zum Weiterlesen: „Die Zukunft der Magyaren: Ein Rechtsrutsch historischen Ausmaßes“ auf profil online

Anmerkungen:
[1] Über die bisherige Verteilung der Sitze auf ungarisch: www.valasztas.hu
[2] Orbán war bis 2002 Ungarischer Ministerpräsident und ist bis heute Vorsitzender der Fidesz.


Neue Rheinische Zeitung, 14. April 2010

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