Alte Freunde
Berlin hat dem japanischen Militär zur Abwehr von Demonstranten beim G8-Gipfel in der kommenden Woche Know-How über den Bundeswehr-Einsatz in Heiligendamm weitergegeben. Demnach haben deutsche Stellen den illegalen Einsatz nicht nur durchgeführt, sondern sie tragen auch zur Nachahmung durch Japan bei. Dessen Armee unterliegt seit 1945 ähnlichen Beschränkungen wie die deutsche. Wie die Bundesregierung bestätigt, leistet Berlin Tokio auch bei weiteren Fragen Schützenhilfe, um gegen Globalisierungskritiker vorzugehen. So entsendet das Bundeskriminalamt (BKA) einen Beamten nach Japan, der in die dortigen Repressionsmaßnahmen eingebunden ist. Proteste gegen den G8-Gipfel haben bereits begonnen. Die deutsche Unterstützung für einen möglichen Inlandseinsatz der japanischen Armee weitet den Aktionsradius der japanischen Streitkräfte aus, die seit Anfang der 1990er Jahre die Remilitarisierung der Außenpolitik ihres Landes tragen – wie die Bundeswehr in Deutschland. An zahlreichen Einsätzen waren und sind beide Armeen beteiligt. Die Militärkooperation dient langfristig der Einkreisung der Volksrepublik China.
Inlands-Testballon
Wie die Bundesregierung bestätigt, hat sie in schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen diverse Fragen des japanischen Militärattachés zum Bundeswehr-Inlandseinsatz in Heiligendamm beantwortet. Dort waren im Juni 2007 anlässlich von Protesten gegen den G8-Gipfel 2.450 Soldaten zum Einsatz gekommen – unter Bruch des Grundgesetzes, das solche Einsätze verbietet. Bereits bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 und beim Besuch von US-Präsident Bush im selben Jahr waren Bundeswehrsoldaten im Einsatz, jedoch wurden sie nicht mit exekutiven Aufgaben betraut. In Heiligendamm wurde diese Grenze überschritten. Unter anderem waren drei Minenjagdboote, eine Fregatte, zwei Spürpanzer, zehn Spähpanzer, vier Eurofighter, acht Jagdflugzeuge und Aufklärungstornados im Einsatz. Kritiker sprachen damals von einem „Testballon auf dem Weg zu einer militarisierten Gesellschaft“.[1] Das Verteidigungsministerium hat die japanische Botschaft bereits im vergangenen Jahr über den „Umfang der Unterstützungsleistungen“ und über Details informiert, darunter Angaben über die „eingerichteten Flugbeschränkungszonen“ und über „Maßnahmen bei Zwischenfällen (nicht-militärisch/militärisch)“. Insbesondere hat sich Tokio Angaben über die „gesetzlichen Grundlagen für Unterstützungsleistungen der Bundeswehr erbeten“.[2]
Erste Auslandseinsätze
Japan ist es laut seiner Verfassung untersagt, Militär zu unterhalten. 1957 begann die Regierung in Tokio trotzdem, sogenannte Selbstverteidigungsstreitkräfte aufzustellen (Japanese Self Defense Forces, JSDF). Inlandseinsätze der JSDF sind wie Inlandseinsätze der Bundeswehr rechtswidrig. Anfang der 1990er Jahre eröffnete Japan die Remilitarisierung seiner Außenpolitik – zeitgleich mit Deutschland. Schon die ersten neuen Einsätze führten die beiden früheren Achsenmächte gemeinsam durch: Als die Bundesrepublik 1991, nach dem Zweiten Golfkrieg, die „Operation Südflanke“ zur Minenräumung im Persischen Golf begann, nahm Japan daran teil.[3] 1992 entsandten Bundeswehr und JSDF Soldaten an die „Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha“. Beide Staaten wirkten ebenfalls gemeinsam am Ruanda-Einsatz von 1994 mit.
„Japan hinkt Deutschland hinterher“
Während die Bundeswehr bereits 1995 zu ersten Gewaltoperationen überging (im zerfallenden Jugoslawien), hielt sich Japan zunächst stärker zurück. Es beteiligte sich vorläufig nur an sogenannten friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen, unter anderem in Mozambique und Syrien. Während Deutschland 1999 mit dem Überfall auf Jugoslawien seinen ersten Angriffskrieg seit 1945 führte, kamen die japanischen Einsätze nicht recht voran. Das veranlasste den Vorsitzenden des „Japanischen Zentrums für Präventive Diplomatie“ (Japan Center for Preventive Diplomacy) und ehemaligen Leiter der UN-Übergangsverwaltung in Kambodscha im Jahr 2000 zu Kritik: „Japan hinkt Deutschland hinterher“.[4]
Anti-Terror-Kampf
Nach dem 11. September 2001 reihten sich Tokio und Berlin gemeinsam in den „Krieg gegen den Terror“ ein. Während Deutschland sich mit Bodentruppen in Afghanistan beteiligte, unterstützte Japan den Nachschub der Kriegsallianz am Hindukusch; während des Krieges 2001 wurden japanische Flugzeuge in Pakistan stationiert. Zum bisher umfangreichsten Einsatz japanischer Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg kam es 2002 in Osttimor; dorthin war die Bundeswehr bereits von 1999 bis 2000 entsandt worden – gemeinsam mit den JSDF. Mit der US-Aggression gegen den Irak 2003 kam es zum letzten Tabubruch in der japanischen Außenpolitik: zur Teilnahme an einem Angriffskrieg. Während deutsche Schiffe vor dem Horn von Afrika amerikanische und britische Schiffe zur „Operation Iraqi Freedom“ eskortierten, betankte ein japanisches Schiff die US Navy im Persischen Golf. Das fernöstliche Kaiserreich beteiligt sich auch weiterhin an der Besatzung des Irak: Bis heute fliegen japanische Flugzeuge Nachschub in das nahöstliche Kriegsgebiet.
Einkreisung Chinas
Schwerpunktgebiet der Bemühungen Tokios, seine militärische Bedeutung wiederzuerlangen, ist vor allem Südostasien. So hat Japan Vereinbarungen mit Indien und Vietnam getroffen, um die Kooperation der jeweiligen Seestreitkräfte in der Südchinesischen See auszubauen. Mit den Küstenwachen der Philippinen, Thailands, Bruneis, Indonesiens, Singapurs und Malaysias führte Tokio seit Mai 2000 mehrere bilaterale und multilaterale Manöver durch. Singapur sicherte bereits im Jahr 2000 Japan zu, dass die japanischen Streitkräfte die militärischen Kapazitäten Singapurs nutzen können. Der Stadtstaat gehört zu den engsten deutschen Militärpartnern in Südostasien, wird mit umfangreichen deutschen Rüstungslieferungen bedacht und gilt, verglichen mit seiner Größe, als äußerst militarisiert.[5] Im Schatten des Tsunami Ende 2004 entsandte Tokio über 1.000 Soldaten nach Sri Lanka, nach Thailand und auf die Malediven – und nach Indonesien, wo die Bundeswehr im Einsatz war. An den in den letzten Jahren neu begonnenen UN-Interventionen in Nepal und Osttimor beteiligte sich Japan ebenfalls mit Militär. Deutschland stellt für diese Operationen Zivilisten.
Direkte Kooperation
Die militärischen Unternehmungen Japans in Südostasien finden im unmittelbaren Umfeld der Volksrepublik China und entlang ihrer Seehandelsrouten nach Westen statt. Sie zielen auf die Einkreisung Beijings und geschehen mit deutscher Unterstützung – nicht nur indirekt über die Zusammenarbeit mit gemeinsamen südostasiatischen Militärpartnern.[6] Im April 2007 besuchte Bundesverteidigungsminister Jung Japan und warb dort „um einen weiteren Ausbau der militärwirtschaftlichen Kooperation“. Im April 2008 kam es dann sogar zu einem ersten deutsch-japanischen Militärmanöver: Im Golf von Oman trainierte der „Einsatz- und Ausbildungsverband“ der Bundesmarine mit einem Versorger und einem Zerstörer der japanischen Marine. Vor einem Monat tauchten Berichte auf, die JSDF könnten sich an der ISAF-Operation in Afghanistan nicht mehr nur im Rahmen des Nachschubs, sondern auch mit eigenen Bodentruppen beteiligen; die Entsendung eines Vorauskommandos an den Hindukusch wurde bereits angekündigt.
Achsenmächte
Deutschland und Japan waren bereits im Zweiten Weltkrieg verbündet.[7] 1936 schlossen das Deutsche Reich und das Japanische Imperium den Antikominternpakt, der sich gegen die Sowjetunion richtete; darin sicherten sich beide Signatarstaaten einander wohlwollende Neutralität bei Kampfhandlungen mit Moskau zu. Ein Jahr später begann mit dem japanischen Angriff auf China der Zweite Weltkrieg in Asien und dem Pazifik. 1940 schlossen Tokio, Berlin und Rom den Dreimächtepakt, in dem die Welt in drei zu okkupierende Interessengebiete aufgeteilt wurde. Die Welteroberungspläne Deutschlands, Japans und Italiens wurden von den Alliierten mit ihrem Sieg 1945 zunichte gemacht. Auf die Revision derjenigen Bestimmungen, mit deren Hilfe ein erneutes Ausgreifen der früheren Achsenmächte verhindert werden sollte, zielen die Maßnahmen zur Remilitarisierung der deutschen und der japanischen Politik – im Ausland ebenso wie im Landesinneren.
[1] Von Amtshilfe zu Zwangsmitteln. Der Heiligendamm-Einsatz der Bundeswehr: Testballon auf dem Weg zu einer militarisierten Gesellschaft. Eine vorläufige Bilanz; www.ulla-jelpke.de/uploads/Bilanz_1.pdf
[2] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE. Zusammenarbeit deutscher und japanischer Sicherheitsbehörden hinsichtlich des G8-Gipfels 2008; Deutscher Bundestag Drucksache 16/8844, 18.04.2008
[3] s. dazu Kriegsbeihilfe
[4] Japan Should Expand Peacekeeping Role; Yomiuri Shimbun 31.07.2000
[5] s. dazu Treibende Kraft
[6] s. dazu Ankerland (II), Langfristiger Einsatz, Subregionales Wettrüsten, Emanzipatorische Elemente und Treibende Kraft
[7] s. dazu Ehrenmitglied und Die alte Botschaft
Bild oben: Japanischer Soldat bei einer Übung in Pearl Harbor, USA (07.07.2008).
Bild unten: Japanische Maschine auf der Sather Air Base auf dem Baghdad International Airport (31.08.2006).
First Picture: Japanese soldiers during an exercise in Pearl Harbor, USA (07.07.2008).
Second Picture: Japanese Airplane at Sather Air Base, Baghdad International Airport (08.31.2008).
These pictures are in the public domain in the United States because they are a work of the United States Federal Government under the terms of Title 17, Chapter 1, Section 105 of the US Code.
german-foreign-policy.com, 02.07.2008.