»Wir kämpfen gegen die wichtigste Weltmacht, die Eigentümer des Universums! « — Francisco Arias Cárdenas
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Sieg in der Peripherie

Vor 100 Jahren rang die mongolische Nationalbewegung mit sowjetischer Hilfe weißgardistische Truppen nieder und legte die Grundlage für die Mongolische Volksrepublik

Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gehörten die mehrheitlich von Mongolen bewohnten Gebiete in Innerasien zum chinesischen Kaiserreich. Die Gebiete der im Norden siedelnden Burjatmongolen östlich und westlich des Baikalsees wiederum fielen im selben Jahrhundert an das russische Zarenreich. Nachdem der Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Patt geendet hatte, wandte sich die Zarenregierung in St. Petersburg verstärkt dem Gebiet Ostasien zu. In sogenannten ungleichen Verträgen rang das Zarenreich 1858 und 1860 China das ressourcenreiche Amurgebiet ab. Die neuen Herren über das Gebiet gründeten 1860 im Süden des annektierten Gebiets Wladiwostok als neuen russischen Pazifikhafen. Als erstes Zeichen russischen Einflusses in der sogenannten Äußeren Mongolei – die territorial in etwa der heute unabhängigen Mongolei entsprach – eröffnete 1863 ein russisches Konsulat in Urga, der Hauptstadt der Region.

Nach der territorialen Arrondierung in Form des Verkaufs Russisch-Alaskas (siehe jW, 25.10.2017) konzentrierte sich die Regierung in St. Petersburg auf die ökonomische Durchdringung Sibiriens und die Erschließung der angrenzenden chinesischen Gebiete. Dazu begann die Staatsmacht ab 1891 mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn. Mit den Bahnhöfen in den russischen Städten Irkutsk, Werchneudinsk (dem heutigen Ulan-Ude) und Tschita verlief diese Bahnlinie teilweise parallel zur mongolischen Nordgrenze und im Gebiet Hulunbuir sogar durch die Gebiete der Mandschurei, in denen hauptsächlich Mongolen lebten. Die russische Wirtschaft konnte infolge des Bahnbaus immer stärker den mongolischen Markt dominieren. Die Durchdringung dieses Marktes erfolgte dabei von Ost nach West – von der Hauptstadt ­Urga relativ weit im Osten hin nach Kobdo im Westen. In einem britisch-russischen Abkommen aus dem Jahr 1899 sowie zwei japanisch-russischen Verträgen von 1907 und 1910 sicherte sich die Regierung in St. Petersburg die Äußere Mongolei als eigene Einflusssphäre gegenüber anderen Kolonialmächten ab. Die Innere Mongolei, die heute in der Volksrepublik China liegt, sowie die Mandschurei erkannte die Zarenregierung als japanische Einflusssphären an.

Erste Staatsgründungen

Mit einer eigenen Einflusszone im Norden Chinas versuchten die Russen, den chinesischen Einfluss in der Mongolei zu verringern. Eine mongolische Nationalbewegung entstand, welche die Unabhängigkeit von China anstrebte. Als die Qing-Monarchie durch die Revolution 1911 gestürzt wurde, kam es in der Mongolei zu einem kurzen Aufstand. Infolgedessen erklärte eine Versammlung von Adli­gen der Äußeren Mongolei die Unabhängigkeit der Provinz. Der 1869 oder 1870 im tibetischen Lhasa geborene Bogd Khan, das religiöse Oberhaupt des Buddhismus in der Mongolei, wurde der erste Herrscher dieses staatlichen Gebildes. In seinem ersten Amtsjahr ließ er die Hauptstadt Urga in Niislel-Chüree umbenennen. Die Regierung in Beijing erkannte die proklamierte Unabhängigkeit jedoch nicht an. Faktisch begann damit für die Mongolei eine Zeit relativer Selbstverwaltung unter russischem Protektorat.¹
Auch im benachbarten Urjanchai gab es eine Unabhängigkeitsbewegung. Im Gegensatz zur Mongolei lebten in diesem chinesischen Außengebiet, das auch Tuwa genannt wurde, nordwestlich der Mongolei jedoch viele russische Siedler – Anfang des 20. Jahrhunderts waren es bereits mehr als 2.000. Die chinesische Staatsmacht zeigte dort nur spärlich Präsenz und regierte hauptsächlich indirekt über mongolische Prinzen und religiöse Würdenträger. Urjanchai war eine natürliche Festung gelegen zwischen Sibirien im Norden, der Mongolei im Osten und Chinesisch-Turkestan im Süden.² Nach der faktischen Abspaltung der Mongolei von China im Jahr 1911 riefen die politischen Führer der russischen Siedler die Republik Urjanchai aus. Ihre Führung vertrieb die chinesischen Händler und Geldleiher, die bis dahin einen großen Einfluss auf die lokale Wirtschaft hatten. Die Regierung Bogd Khans in der Mongolei erkannte die Abspaltung des Gebiets der Tuwiner, die politisch eng mit den Mongolen verbandelt waren, aber eine Turksprache sprachen, nicht an.

Diese russische Siedlerrepublik bestand nicht lange: 1914 erklärte der russische Zar ein Protektorat über Urjanchai – aus der kurzlebigen Republik wurde somit eine Kolonie des monarchischen Russlands. Zu diesem Zeitpunkt lebten bereits 8.000 russische Siedler in dem Gebiet.³ In der gesamten Mongolei waren es zu dieser Zeit dagegen gerade einmal 1.500 Russen.? Die neue Kolonialmacht etablierte den Ort Belotsarsk als neues administratives Zentrum. Die Zahl der Siedler stieg infolge der staatlichen Anstrengungen bis 1917 sogar auf über 12.000 an. Im Russischen Bürgerkrieg, der auch in Urjanchai ausgefochten wurde, war das Gebiet von Spannungen zwischen den alten und den neuen Siedlern geprägt.?

Im Zuge des Ersten Weltkriegs drang die Regierung des Bogd Khan in der Mongolei seit 1914 auf eine Klärung der staatsrechtlichen Verhältnisse ihres Gebiets. Auf die Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1911 folgte keine internationale Anerkennung – weder von Russland und schon gar nicht von China. Im Jahr 1913 schloss ein Vertreter der Regierung Tibets – damals ebenfalls von China abtrünnig – einen Vertrag mit der mongolischen Regierung, in dem beide Regionen wechselseitig ihre Unabhängigkeit anerkannten. Doch auch das unabhängige Tibet hatte kein Staat der Welt anerkannt. Im Vertrag von Kjachta von 1915 sicherten dann die chinesische und die russische Zentralregierung zwar der Mongolei eine Autonomie zu, die vom Bogd Khan angestrebte Unabhängigkeit blieb dem Land jedoch versagt. Neben der Autonomie ließ sich die russische Regierung auch ihre kolonialen Privilegien anerkennen und die chinesische Regierung wiederum die Suzeränität, d.?h. die nominelle Oberhoheit über die Mongolei.

Verteilungskämpfe

Die bürgerliche Februarrevolution 1917 veränderte nicht nur die Innenpolitik des vormaligen russischen Zarenreiches stark, sondern auch die staatlichen Verhältnisse in der Peripherie. In Zentralasien agierten die beiden Fürstentümer Buchara und Chiwa wieder unabhängig, und die Mongolei sah sich mit erneuten chinesischen Ansprüchen konfrontiert. Die Kolonialregierung des Krais Urjanchai wiederum erkannte rasch die neue Staatsmacht in Petrograd an und akzeptierte somit offiziell den Status als de facto Kolonie.

Nach der Oktoberrevolution intervenierte das benachbarte japanische Imperium in Sibirien. Um die Möglichkeit einer russischen Gefahr für immer auszuschalten, plante ein »Sibirisches Planungskomitee«, die Gebiete östlich des Baikalsees vom zukünftigen Russland abzuspalten. Kleinere Gebiete, wie den Norden der lange zwischen Tokio und St. Petersburg umkämpften Insel Sachalin, annektierten die Japaner direkt. Bis zu 70.000 japanische Soldaten standen fortan im vormaligen Russisch-Fernost.

Die chinesischen Ansprüche gegenüber der Mongolei wiederum mündeten in einem Einmarsch der Nordwestlichen Grenzarmee des projapanischen Warlords Xu Shuzheng im Oktober 1919. Xu gliederte die Mongolei somit im Schatten des Russischen Bürgerkriegs nominell wieder in den Einflussbereich der alten Zentralmacht ein. Er gehörte der Anhui-Clique an, die zwar die chinesische Hauptstadt, aber darüber hinaus kaum größere chinesische Gebiete kon­trollierte. Xus Einmarsch kam indirekt Tokio zugute: Die Mongolei als die japanische Südflanke im vom Osten her geführten Interventionskrieg sicherte Xu sozusagen indirekt für die Japaner ab. Im Jahr 1919 marschierte darüber hinaus eine mongolisch-chinesische Streitmacht, angeführt von einem politischen Vertreter des Außenministeriums in Beijing, in Urjanchai ein. Genau wie die Mongolei fiel die Region damit wieder an China.

Das internationale Umfeld für die Mongolei veränderte sich im Frühjahr 1920, als Bolschewiki und Menschewiki gemeinsam die Fernöstliche Republik (FÖR) gründeten. Dieser Pufferstaat zwischen japanischem Einflussgebiet im Osten und der etablierten Sowjetmacht im Inneren Sibiriens hatte zunächst seine Hauptstadt in Werchneudinsk, dem kulturellen Zentrum der Burjatmongolen. Die FÖR beanspruchte zunächst das Gebiet von der Beringstraße bis nach Wladiwostok und hätte somit die gesamte einstmals russische Pazifikküste abgedeckt. Noch im Jahr der Gründung verzichtete die FÖR-Regierung jedoch auf den nördlichen Teil, d.h. auf Kamtschatka und Westberingia.

Warlords

Da die Japaner nicht das gesamte Gebiet östlich des Baikalsees besetzen wollten, unterstützten sie zaristische russische Generale, die in einigen Regionen als Warlords regierten. Einer dieser Kriegsherren war Grigori Semjonow, der als Kosake in der Transbaikalregion geboren worden war. Semjonow rief sich selbst zum Ataman – also dem Oberhaupt – der Transbaikalkosaken aus und ließ eine Regierung des russischen Grenzlandes, östliche Okraina genannt, bilden. Seine Herrschaft hielt nicht lange, und Verbänden der Roten Armee unter dem Kommando von Wassili Blücher gelang es, die Weißen Truppen Semjonows in das japanische Einflussgebiet an der Pazifikküste zu vertreiben. Darüber hinaus erkannte die japanische Regierung die FÖR im Herbst 1920 an, die Republik verlegte ihre Hauptstadt von Werchneudinsk nach Tschita. Letztere Stadt hatte bis dahin als Semjonows Hauptquartier gedient.

1920 marschierten wiederum die Truppen des zaristischen Generals Baron von Ungern-Sternberg in die Mongolei ein. Laut eigenen Aussagen konnte er auf eine 1.000jährige Familientradition deutschstämmiger Balten zurückblicken. Ungern-Sternberg hatte sich zunächst im Süden der von der FÖR beanspruchten Gebiete durch Plünderungen und Massaker einen zweifelhaften Ruf erworben. Bolschewiki, Deserteure und Juden ließ er auf brutalste Weise ermorden. Lange Zeit diente Ungern-Sternberg unter Semjonow. Als dieser jedoch aufgrund des japanischen Rückzugs an die Pazifikküste mit dem Rücken zur Wand stand, brach Ungern-Sternberg mit ihm, nahm große Rubel-Reserven und Waffen mit sich und marschierte mit rund 1.000 Mann von Osten her kommend in die Mongolei ein.?

Nach mehreren verlustreichen Versuchen gelang es von Ungern-Sternbergs Armee, im Frühjahr 1921 die mongolische Hauptstadt einzunehmen. Nach der Einnahme der Stadt plünderten seine Truppen die chinesischen Läden und erschossen auf von Ungern-Sternbergs Befehl hin alle Juden, derer sie habhaft werden konnten. Die weißgardistischen Soldaten befreiten den Bogd Khan aus seinem Hausarrest und setzten ihn offiziell wieder als Staatschef an der Spitze einer mongolischen Regierung ein. Der Bogd Khan verlieh daraufhin von Ungern-Sternberg den Ehrentitel eines ­mongolischen Prinzen. Die religiösen Würdenträger in Niislel-Chüree erklärten den Baltendeutschen zur Wiedergeburt ihres buddhistischen Kriegsgottes. De facto regierte fortan ein buddhistisch-theokratisches Regime mit einem baltendeutschen Kriegsverbrecher an der Spitze die Mongolei. Von Ungern-Sternberg gelang es, weiße Kräfte, mongolische Reaktionäre und eine Reihe japanischer Abenteurer für seine Armee zu gewinnen. Mit dieser erstarkten Streitmacht gelang es ihm, alle größeren Städte der Mongolei einzunehmen.

Neben der nominell regierenden mongolischen Regierung des Bogd Khan setzte von Ungern-Sternberg monarchistische russische Berater in allen wichtigen Bereichen der mongolischen Regierungsführung ein. Um noch mehr Unterstützung zu gewinnen, wandte sich der Baltendeutsche über die Mongolei hinaus an alle reaktionären Kräfte, die ihm zur Hilfe kommen könnten, und versprach, an der Zugehörigkeit der Mongolei zu China festzuhalten und die Wiedererrichtung der Qing-Monarchie zu unterstützen.? Die brutale Herrschaft von Ungern-Sternbergs sorgte jedoch dafür, dass sich der Bogd Khan schnell von ihm abwandte.? Angesichts der militärischen Übermacht konnte dieser jedoch nichts gegen die russischen Reaktionäre in seinem Land ausrichten.

Revolutionärer Widerstand

Um den Widerstand innerhalb der Mongolei und von Mongolen im Exil zu bündeln, gründeten im März 1921 mongolische Revolutionäre um ­Dog­somyn Bodoo, Damdiny Süchbaatar und Chorloogiin Tschoibalsan die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) als Partei der gesamtmongolischen Nationalbewegung. Das Gründungstreffen fand im Haus des Repräsentanten des sowjetrussischen Außenkommissariats in Kjachta an der Grenze der Äußeren Mongolei zu den burjatmongolischen Gebieten Sibiriens statt.? In ihrem Programm schrieben die Aktivisten fest, dass es das Ziel der MRVP sei, »alle mongolischen Stämme« in einem Staat zusammenzuführen.¹? Im Jahr 1921 hätte das bedeutet, dass China, die FÖR und die Russische Sozialistische Föderative So­wjetrepublik auf Gebiete verzichten müssten.
Kurz nach der Gründung der MRVP bildeten die Kader dieser neuen Partei eine provisorische Regierung, die ihre Arbeit direkt an der mongolischen Grenze aufnahm und versuchte, die Aktivitäten verschiedener Partisanen in der Mongolei zu koordinieren. Sie gründeten auch eine Volksarmee mit Kriegsminister Süchbaatar an der Spitze. Das Zentralkomitee der MRVP entsandte einen Vertreter nach Moskau und stellte bei der Kommunistischen Internationale den Antrag, der MRVP den Status einer »sympathisierenden Partei« zuzusprechen. Das geschah prompt; beim dritten Komintern-Kongress im Sommer 1921 waren die mongolischen Revolutionäre bereits vertreten.

In der Mongolei selbst wiederum sah von Ungern-Sternberg zu der Zeit seine Streitmacht als stark genug an, um die Sowjets in Sibirien zu schlagen. Er gab einen Mobilisierungsbefehl aus, in dem er sich zum Zaren Michail Alexandrowitsch Romanow bekannte. Dieser war zu dem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren tot – aber das war öffentlich kaum bekannt. Nach dem Tod von Nikolaus II., des letzten russischen Zaren, hatten viele russische Monarchisten gehofft, dass dessen Bruder Michail noch leben würde, und bekannten sich zu ihm als angeblich neuem Zaren. Doch Michail war genausolange tot wie sein Bruder.¹¹ Dieser Aspekt ist nur eine weitere Facette der Parallelwelt, in der von Ungern-Sternberg lebte. In der Mongolei selbst verlor der deutsche Baron immer mehr an Rückhalt. Alle Juden hatte er umbringen lassen, die Gewaltherrschaft kostete ihm viele Sympathien in der mongolischen Bevölkerung. Auf der anderen Seite gewann die MRVP immer mehr an Rückhalt.¹²

Showdown

Von Ungern-Sternberg trat die Flucht nach vorne an und marschierte mit seinen Truppen in der Baikalregion ein. In den eingenommenen Gebieten setzten diese auf Terror und ermordeten angebliche und tatsächliche Bolschewiki und deren Sympathisanten. Die sowjetrussische Fünfte Armee, die Revolutionäre Volksarmee der FÖR und die mongolische Volksarmee gingen zum Gegenangriff über und marschierten am 27. Juni 1921 in der Mongolei ein.¹³ Die mongolische Kavallerie mit 900 Mann stellte dabei den kleinsten Teil der insgesamt knapp 11.000 Soldaten starken Interventionsstreitmacht.¹?

Von Ungern-Sternberg blieb nichts als die Flucht, die ihn und die weiterhin loyal zu ihm haltenden Truppen in den Westen zum Altaigebirge führte. Dieser Gebirgszug lag damals im Grenzgebiet Sowjetrusslands, Urjanchais, der Mongolei und Chinas, wobei der chinesische Teil vom isolationistisch gesinnten Gouverneur Xinjiangs, Yang Zengxin, regiert wurde. Gouverneur Yang zog nach britischen Informationen seine Truppen zusammen, um sie der einrückenden Streitmacht von Ungern-Sternbergs entgegenzuwerfen.¹? Yang strebte anscheinend sogar an, seinen Machtbereich auf Kobdo in der Westmongolei auszudehnen und entsandte seine Truppen in die Stadt. Dort erlebten diese jedoch eine herbe Niederlage: Die Soldaten von Ungern-Sternberg schlugen die Xinjiang-Truppen vernichtend.¹? Yangs Soldaten zogen sich danach wieder zurück. Als Konsequenz aus der Niederlage setzte Yang fortan auf eine Kooperation mit den Bolschewiki und verhandelte mit diesen über die Zugehörigkeit Kobdos.¹?

Die mongolische Volksarmee und die Rote Armee kamen den Truppen aus Xinjiang jedoch zuvor: Die sowjetischen Soldaten zerschlugen die Streitmacht von Ungern-Sternberg in der Westmongolei und nahmen den Baron höchstpersönlich in Gefangenschaft. Nach einem kurzen Prozess im sowjetrussischen Nowo-Nikolajewsk, dem heutigen Nowosibirsk, wurde er erhängt. An der Grenze zu Xinjiang stoppten die sowjetrussischen und mongolischen Truppen schließlich ihren Vormarsch.

In Niislel-Chüree übertrug der Bogd Khan der MRVP die Regierung, blieb selbst aber als Monarch an der Spitze des mongolischen Staatswesens. Durch diverse Krankheiten geschwächt, blieb er eine weitgehend einflusslose Symbolfigur. Die von der MRVP organisierte Regierung bat die sowjetrussische Regierung in Moskau, die Rote Armee in der Mongolei stationiert zu lassen. Trotz anderslautender Bekundungen gegenüber der Regierung in Beijing blieben die Sowjetsoldaten dann auch dort. Im geheimen schlossen mongolische und sowjetrussische Vertreter fortan diverse Abkommen, wobei Moskau die Unabhängigkeit der Mongolei nicht offiziell anerkannte. Die sowjetische Regierung verhandelte noch bis 1924 mit der chinesischen über die Etablierung diplomatischer Beziehungen – dabei sollte die Mongolei kein Hindernis sein. Im Vertrag zur Etablierung chinesisch-sowjetrussischer Beziehungen 1924 sicherte Moskau zu, dass die Mongolei zu China gehöre.

Anders entwickelte sich Urjanchai. In diesem Gebiet hatten für lange Zeit während des Russischen Bürgerkriegs die Truppen des weißgardistischen Generals Koltschak regiert. Doch der Roten Armee gelang es, bis zum Frühjahr 1921 das Gebiet einzunehmen. Im August desselben Jahres riefen tuwinische Politiker die Volksrepublik Tannu-Tuwa aus, die nur von ihren beiden Nachbarstaaten anerkannt wurde. Sie existierte bis 1944 und wurde dann eine Teilrepublik der Sowjetunion.

In der Mongolei beendete der Tod Bogd Khans im Jahr 1924 eine dreijährige politische Übergangsphase. Die MRVP unter der Führung von Premierminister Balingiin Tserendordsch rief im November desselben Jahres die Mongolische Volksrepublik aus. Im selben Jahr erhielt außerdem die mongolische Hauptstadt den Namen Ulan-Bator (»Roter Held«), den sie bis heute trägt. Die Sowjetunion, in der Sowjetrussland mittlerweile aufgegangen war, Tannu-Tuwa und die Mongolei bildeten für die folgenden zwei Jahrzehnte die einzigen Staaten des damals recht kleinen realsozialistischen Staatenblocks.

Anmerkungen

1 Thomas E. Ewing: Russia, China, and the Origins of the Mongolian People’s Republic, 1911–1921: A Reappraisal. In: The Slavonic and East European Review, Jg. 58 (1980), Nr. 3, S. 399–421
2 Richard B. Spence: White Against Red in Uriankhai: Revolution and Civil War on Russia’s Asiatic Frontier, 1918–1921. In: Revolutionary Russia, Jg. 6 (1993), Nr. 1, S. 97–120 (hier: S. 98)
3 Spence: White Against Red in Uriankhai, S. 100
4 Elena Boikova: Russians in Mongolia in the Late 19th–Early 20th Centuries. In: Mongolian Studies, Jg. 25 (2002), S. 13–20 (hier: S. 14)
5 Spence: White Against Red in Uriankhai, S. 100
6 Paul du Quenoy: Warlordism a la Russe: Baron von Ungern-Sternberg’s Anti-Bolshevik Crusade, 1917–21. In: Revolutionary Russia, Jg. 16 (2003), Nr. 2, S. 8
7 Ivan Sablin: Governing Post-Imperial Siberia and Mongolia, 1911–1924: Buddhism, Socialism, and Nationalism in State and Autonomy Building. London/New York 2016, S. 164
8 Phillip P. Marzluf: Socialist and Post–Socialist Mongolia: Nation, Identity and Culture. London 2021, S. 69
9 Thomas E. Ewing: The Origin of the Mongolian People’s Revolutionary Party – 1920. In: Mongolian Studies, Jg. 5 (1978/1979), S. 79–105
10 Sablin: Governing Post-Imperial Siberia and Mongolia, 1911–1924, S. 165
11 Du Quenoy: Baron von Ungern-Sternberg’s Anti-Bolshevik Crusade, 1917–21, S. 17
12 Sablin: Governing Post-Imperial Siberia and Mongolia, 1911–1924, S. 167
13 Du Quenoy: Baron von Ungern-Sternberg’s Anti-Bolshevik Crusade, 1917–21, S. 18
14 Jonathan R. Adelman: Communist Armies in Politics. London 2019, S. 235
15 Vgl. TNA: FO: 371/6625: India Office an Foreign Office: Kashgar Diary, (London), 12.12.1921
16 Vgl. TNA: FO: 371/6625: India Office an Foreign Office: Kashgar Diary, (London), 7.9.1921
17 Vgl. TNA: FO: 371/6743: India Office an Foreign Office: Situation in Turkestan, (London), 18.10.1921

Erschienen in: junge Welt, 12.07.2021.

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