»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Einflusskämpfe im Südkaukasus

Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in der abtrünnigen Kaukasusrepublik Abchasien an diesem Wochenende erklärt das Auswärtige Amt den Urnengang für „illegal“. Die Wahl sei „unzulässig“, weil man Abchasiens Abspaltung von Georgien nicht anerkenne, heißt es. In Abchasien spiegeln sich die Einflusskämpfe zwischen den großen Mächten in der Region wie in einem Brennglas wider: Russland sucht seine Stellung zu halten; China baut seine Position mit Hilfe der „Neuen Seidenstraße“ aus; Deutschland und die EU scheinen nach einer Phase harter Blockadepolitik zu neuen Versuchen einer kulturell-ökonomischen Einflussnahme überzugehen. Aus der ersten Runde der Präsidentenwahl sind der Amtsinhaber Raul Chadschimba und der Oppositionspolitiker Alchas Kwitzinia als Sieger hervorgegangen. Chadschima ist ein ethnischer Nationalist und lehnt sich eng an Russland an. Kwitzinia wiederum gilt als harscher Kritiker der Regierung und der abchasischen Oligarchen. Die Entscheidung in der Stichwahl gilt auch als Richtungsentscheidung für die abchasische Außenpolitik.

„Unzulässige Wahlen“

Am 25. August waren über 121.000 Bürgerinnen und Bürger der von Georgien abtrünnigen Republik Abchasien dazu aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Das Auswärtige Amt erklärte den Urnengang für „unzulässig“. In einer Pressemitteilung des Ministeriums heißt es, Deutschland betrachte die „Wahlen und ihr Ergebnis als illegal“.[1] Die Bundesregierung bleibt weiterhin bei ihrem Blockadekurs gegenüber der von Georgien abgespaltenen Republik.

Abchasiens „europäisches Haus“

Das war nicht immer so. Bereits vor über einem Jahrzehnt hatten Deutschland und die EU gegenüber Abchasien einen kooperativeren Ansatz („Soft Power“) vertreten. Seit Ende der 1990er Jahre finanzierte die EU verschiedene Projekte in Abchasien. Bis zum Jahr 2006 stieg der westeuropäische Staatenbund sogar zum größten Geldgeber der international bis dahin von keinem einzigen Staat anerkannten Republik auf. Das gelang bereits mit verhältnismäßig kleinen Summen: Von 1997 bis 2006 gab die EU insgesamt 25 Millionen Euro für Abchasien aus.[2] In Abchasien wurde dies begrüßt. Das damalige Oberhaupt der selbstproklamierten Republik, Sergeij Bagapsch, bekräftigte 2006 in einem Interview: „Wir wollen in einem europäischen Haus leben. Wir wollen Offenheit und Dialog von Seiten der EU“.[3]

Blockadepolitik

Parallel zur Unterstützung für Abchasien rüsteten allerdings schon damals westeuropäische Waffenschmieden die georgische Armee auf, und unter anderem deutsche Militärberater trainierten die Streitkräfte des Kaukasuslandes. Im Jahr 2008 brach dann der georgische Staatspräsident Micheil Saakaschwili einen Krieg gegen das – wie Abchasien – abtrünnige Südossetien vom Zaun, um es mit Gewalt wieder in den georgischen Staat zu integrieren. Daraufhin intervenierten russische Streitkräfte, die zur Beobachtung des Waffenstillstands in Südossetien stationiert waren, mit Verstärkung aus Russland in Georgien. Wenig später erkannte die Russische Föderation Abchasien als unabhängigen Staat an. Die EU wiederum, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, schwenkte auf eine Blockadepolitik gegenüber Abchasien um. Wirtschaftliche, humanitäre und Bildungskontakte in die Region wurden fortan blockiert. Den Tiefpunkt erreichte die Blockadepolitik im Jahr 2009, als die deutsche Botschaft in Moskau die Einreise eines kranken abchasischen Jugendlichen verweigerte. Der 16-Jährige sollte in München einer komplizierten medizinischen Behandlung unterzogen werden.[4] Erst nach internationalen Protesten gab die Botschaft nach und stellte ein Visum aus.[5]

Die Folgen der Russland-Sanktionen

Größere Veränderungen für Abchasien brachte die Eskalation des Ukraine-Konflikts im Frühjahr 2014. Die EU und die meisten NATO-Staaten (Ausnahme: die Türkei) verhängten Sanktionen gegen Russland sowie gegen Einzelpersonen aus Osteuropa. Infolgedessen brach der Handel zwischen der Russischen Föderation und der EU ein. Die russische Wirtschaft stürzte in eine Krise, der Rubel verlor massiv an Wert. Für Abchasien, das den Rubel als Währung benutzt, bedeutete dies, dass Exporte fortan einfacher wurden. Das international kaum anerkannte Land verstärkte seinen Handel mit Märkten jenseits von Russland.[6] Dies eröffnet nicht zuletzt Deutschland neue Chancen, auf Abchasien Einfluss zu nehmen.

Chinas Einfluss

Tatsächlich sank nicht nur der russische Einfluss in Abchasien; auch eine neue, ökonomisch äußerst einflussreiche Macht begann in den vergangenen Jahren, sich verstärkt im Kaukasus zu betätigen: Im Zuge der „Neuen Seidenstraßen“-Initiative („Belt and Road Initiative“, BRI) baut derzeit China seinen Einfluss aus – auch in Abchasien, obwohl es die Abspaltung der Region von Georgien nicht anerkennt. Vertreter des abchasischen Außenministeriums hielten sich bereits im Jahr 2017 in Beijing auf und führten dort Gespräche.[7] Chinesische Firmen zeigen vor allem am Tourismus in Abchasien und am agroindustriellen Sektor Interesse. Aus Beijing kam außerdem der Vorschlag, 3.000 Arbeiter zur Entwicklung der Infrastruktur nach Abchasien zu entsenden. Die Regierung des bisherigen abchasischen Präsidenten Chadschimba lehnte allerdings ab.[8] Unter einer neuen Regierung könnte sich das ändern.

„Abchasien und Europa: Eine Annäherung“

Offiziell hält die Bundesregierung an ihrer Blockadepolitik gegenüber Abchasien fest. Inzwischen werden jedoch die inoffiziellen Kontakte ausgebaut. Im Februar 2017 organisierte die nicht-anerkannte permanente Vertreterin Abchasiens in Deutschland einen Runden Tisch, an dem auch ein Bundestagsabgeordneter der CDU, diverse Mitarbeiter des Deutschen Bundestages sowie Vertreter des Bundeslandwirtschaftsministeriums teilnahmen.[9] Der runde Tisch hatte den Titel „Abchasien und Europa: Eine Annäherung“. Die Vertreter der beiden Seiten thematisierten unter anderem die Einbindung Abchasiens in EU-Bildungs- und Kulturprogramme sowie den Zugang zu den Gesundheitssystemen in der EU.[10] Im Mai 2018 hielt sich Berichten zufolge – von der abchasischen Industrie- und Handelskammer organisiert – eine deutsche Delegation in der Republik auf.[11]

„Erasmus“ in Abchasien

Neben den verstärkten inoffiziellen Kontakten setzt die EU – gegen Proteste der georgischen Regierung – auf neue Mittel kultureller Einflussnahme in Abchasien. Im Jahr 2018 öffnete die Union ihr Studienprogramm „Erasmus“ für abchasische Studierende.[12] Diesen Schritt hatte die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung bereits im Jahr 2015 gefordert.[13] Ob weitere Maßnahmen einer kooperativeren Einflussnahme folgen, ist noch unklar.

Immer eigenständiger

Abchasien wäre wohl offen dafür. Wie im Sommer eine Untersuchung der diplomatischen Aktivitäten des abchasischen Außenministeriums gezeigt hat, agiert die abtrünnige Republik gegenüber Russland zunehmend eigenständig. Mittlerweile sind bereits 80 Prozent ihrer diplomatischen Noten nicht an Russland gerichtet; neben seinen offiziellen Botschaften in verschiedenen Ländern verfügt Abchasien über inoffizielle Vertreter in mehreren EU-Staaten, darunter Deutschland.[14]

[1] Auswärtiges Amt zu den unzulässigen Wahlen in Georgiens Region Abchasien. auswaertiges-amt.de 26.08.2019.
[2] Nicu Popescu: Europe’s Unrecognised Neighbours – The EU in Abkhazia and South Ossetia, CEPS Working Document No. 260/März 2007, S. 13.
[3] Ebenda, S. 18.
[4] German embassy in Russia denies ill Abkhazian teen visa – ministry. sputniknews.com 13.05.2009.
[5] Germany issues visa to seriously ill Abkhazian teenager. sputniknews.com 15.05.2009.
[6] Abkhazia and South Ossetia: Time to Talk Trade. crisisgroup.org 24.05.2018.
[7] Kieran Pender: Abkhazia: Is Chinese Investment a Panacea or a Pipe Dream? eurasianet.org 20.09.2017.
[8] Michael Eric Lambert: The future of Chinese investment in the Caucasus – The case of Abkhazia. neweasterneurope.eu 20.09.2018.
[9] The Permanent Representation of Abkhazia in Germany held a round table. apsnypress.info 17.02.2017.
[10] „Abkhazia and Europe: rapprochement“ round table took place in Berlin. mfaapsny.org 16.02.2017.
[11] Business community of Germany is interested in cooperation with Abkhaz businessmen. apsnypress.info 10.05.2018.
[12] Dieter Boden: 27 years since the beginning of the war between Georgia and Abkhazia. abkhazworld.com 12.08.2019.
[13] Thomas de Waal: Crimea, Russia and Options for Engagement in Abkhazia and South Ossetia. ge.boell.org 26.11.2015.
[14] Andreas Pacher: Abkhazia & South Ossetia in the World. neweasterneurope.eu 03.07.2019.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 06.09.2019.

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