Abchasien wählt
Beziehungen zu Russland durch Wirtschaftskrise beeinträchtigt. Georgien hofft auf Chance
Am Sonntag sind 160.000 Bürger der international nur von wenigen Staaten anerkannten Republik Abchasien zur Wahl eines neuen Staatsoberhauptes aufgerufen. Amtsinhaber Raul Chadschimba tritt wieder an, während ein von Experten lange als Favorit gehandelter Gegenkandidat ausgefallen ist: Aslan Bschania, ehemaliger Geheimdienstchef Abchasiens, fiel im April einer Vergiftung zum Opfer, liegt nun in Moskau im Krankenhaus und nimmt nicht an der Abstimmung teil.
Die Wahl war auf Bitten der Opposition von Juli auf August verschoben worden. Trotzdem gehen die Regierungsgegner gespalten ins Rennen. Gute Chancen auf einen Erfolg werden dem Chef der Veteranenpartei, Alchas Kwizinija, sowie dem ehemaligen Übergangsaußenminister Oleg Arschba eingeräumt. Hauptthemen im Wahlkampf waren die wirtschaftlich schlechte Lage des Landes und die grassierende Korruption.
Nachdem wütende Demonstranten dafür gesorgt hatten, dass der damalige Präsident Alexander Ankwab auf einen russischen Militärstützpunkt floh, kam es 2014 zu Neuwahlen. Diese gewann zum ersten Mal Chadschimba, nachdem er zuvor dreimal unterlegen war. Er beendete die Entspannungspolitik seiner Vorgänger gegenüber den georgischsprachigen Mingreliern im südlichen Bezirk Gali und ließ vielen Angehörigen dieser Minderheit die Pässe entziehen. Außerdem lehnte sich der Staatschef außenpolitisch verstärkt an die Schutzmacht Russland an.
In Moskau jedoch, das die Unabhängigkeit Abchasiens von Georgien 2008 anerkannt hatte und seit 2015 den Oberkommandeur der abchasischen Armee stellt, ist infolge der Wirtschaftskrise die Bereitschaft zurückgegangen, Finanzspritzen für den abchasischen Staatshaushalt zu genehmigen. Zugleich sorgten die ökonomischen Probleme im Nachbarland sowie die antirussischen Sanktionen des Westens zu einer wirtschaftlichen Umorientierung Abchasiens: Infolge der Schwäche des Rubels – den auch die Abchasier als Nationalwährung nutzen – nahm der Handel mit Georgien, der Türkei und der EU zu. Abchasische Exporte in die EU gehen heute vor allem nach Bulgarien, Griechenland und Portugal.
Angesichts solcher Tendenzen wittern auch georgische Politiker Morgenluft. Nach zweieinhalb Jahrzehnten der Konfrontation hat sich das Verhältnis der abchasischen Regierung in Aqwa (georgisch Sochumi) mit der Administration in Tbilissi inzwischen leicht verbessert. Im früheren Mutterland setzen immer mehr Politiker auf Dialog und haben das Wirtschaftsembargo gegen Abchasien gelockert. Als Teil einer »weichen Diplomatie« stehen abchasischen Staatsbürgern nun auch Dienstleistungen im georgischen Gesundheitssystem zur Verfügung. Grenznah ließ die georgische Regierung in Ruchi ein hochmodernes Krankenhaus errichten. Die langersehnte Eröffnung des transkaukasischen Transportkorridors von Russland über Abchasien nach Georgien lässt allerdings weiter auf sich warten – trotz diverser Beschlüsse aller Beteiligten.
Nicht nur in Georgien, sondern auch in anderen Ländern steigt die Bereitschaft, mit Abchasien Handel zu treiben. Chinesische Investoren meldeten bereits Interesse an Investitionen in die Infrastruktur an, aus Nordkorea wurden Gastarbeiter angeboten, und auf der internationalen Messe in Damaskus werden Ende August bereits zum dritten Mal in Folge abchasische Produkte vorgestellt. Die syrische Regierung hatte im vergangenen Jahr die abchasische Unabhängigkeit anerkannt. Hauptsächlich setzt Aqwa aber auf informelle Verbindungen. Seit zwei Jahren hat die Industrie- und Handelskammer beispielsweise eine Vertretung in Berlin.
Erschienen in: junge Welt, 24.08.2019.