Vorstoß zum Kaspisee
Deutschland und die EU verstärken derzeit ihre Bemühungen um den Ausbau eines Transportkorridors nach Turkmenistan, eines der erdgasreichsten Länder der Welt. Im März hat sich ein deutscher Karrierediplomat in der turkmenischen Hauptstadt Aschgabad aufgehalten, um dort die Eröffnung einer EU-Repräsentanz vorzubereiten. Nach der Einigung der Kaspisee-Anrainer über den völkerrechtlichen Status des Binnenmeers im vergangenen Sommer wäre nun erstmals seit 1991 prinzipiell der Bau einer Erdgaspipeline aus Turkmenistan nach Aserbaidschan und die Weiterleitung des Rohstoffs nach Europa möglich; damit könnte es der EU gelingen, Erdgas aus Zentralasien zu beziehen, ohne es über russisches Territorium leiten zu müssen. Dies ist ein zentrales Motiv für Berlin, den Ausbau der Beziehungen mit Turkmenistan zu forcieren. Die Bundesrepublik ist aktuell der wichtigste Handelspartner des autoritär regierten Landes in der EU. Von den bilateralen Wirtschaftskontakten profitieren Unternehmen, die nicht zuletzt Streitkräfte beliefern, sowie die Deutsche Bank.
Das „Nordkorea Zentralasiens“
Die Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan pflegen schon seit vielen Jahren spezielle Beziehungen. Turkmenistan, mit 5,6 Millionen Einwohnern und 488.100 km2 Fläche das nach Bevölkerung kleinste und nach Fläche zweitgrößte Land des postsowjetischen Zentralasiens, ist laut Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) der Staat mit den viertgrößten Erdgasreserven weltweit. Den Erdgasreichtum nutzte eine kleine Clique um den damaligen Präsidenten Saparmurat Nijasow Anfang der 1990er Jahre, um ein autoritäres, international weitgehend isoliertes Regime aufzubauen. Turkmenistan ist das einzige zentralasiatische Land, das nicht der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) angehört. Auch darüber hinaus ist es nur wenigen internationalen Organisationen inklusive UN-Unterorganisationen beigetreten.[1] Beobachter beschreiben es deshalb oft als das „Nordkorea Zentralasiens“.[2] Seit dem Amtsantritt des neuen Staatschefs Gurbanguly Berdimuhamedow im Jahr 2007 wurde seine Isolation jedoch ein wenig aufgeweicht; die turkmenische Regierung verbessert seitdem die Beziehungen zu einigen ausgewählten Ländern, darunter Deutschland.
Staatsbesuche
So hielt sich Berdimuhamedow 2008 und 2016 jeweils zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik auf. Schon bei seinem ersten Eintreffen in Berlin kritisierten Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung, die sich sonst gern zur angeblichen Vorkämpferin für die Menschenrechte stilisiert, für ihre „relative Milde“ gegenüber Turkmenistan, das für seine autoritäre Herrschaft berüchtigt ist.[3] Infolge des Staatsbesuchs 2016 begannen Verhandlungen im Bereich des Kulturaustauschs. In diesem Zusammenhang sandte Turkmenistan im Frühjahr 2018 das erste Mal überhaupt turkmenische Artefakte aus der Bronzezeit ins Ausland – nach Deutschland. Die Kulturgüter wurden in Berlin, Hamburg und Mannheim ausgestellt.[4] Neben dem offiziellen Teil der bilateralen Beziehungen gibt es offenbar auch einen geheimen: Im Juni 2018 flog die Boeing-Maschine von Staatschef Berdimuhamedow zweimal innerhalb einer Woche nach Frankfurt am Main, ohne dass über die Hintergründe der Flüge öffentlich etwas bekannt wurde.[5]
Handelsbeziehungen
Auch jenseits der Staatsbesuche werden die deutsch-turkmenischen Kontakte immer intensiver. Im April 2018 etwa tagte die deutsch-turkmenische Regierungsarbeitsgruppe Wirtschaft und Handel bereits zum achten Mal. Die turkmenische Seite war dabei unter anderem durch Vizepremierminister Chary Gylydzhov vertreten.[6] Im Februar 2019 hielt sich der Vizeregierungschef erneut in Deutschland auf und nahm am „Deutsch-Turkmenischen Businessforum“ in den Räumlichkeiten der Deutschen Bank teil.[7] Die turkmenische Industrie- und Handelskammer schloss im Rahmen der Veranstaltung mehrere Verträge mit deutschen Firmen.[8]
Neue Pipelines
Hintergrund für die Intensivierung der deutschen Kontakte zu Turkmenistan ist vor allem das Bemühen, Zugriff auf die turkmenischen Erdgasvorräte zu erlangen. Als zentrales Hindernis für die Pläne, eine Erdgaspipeline durch den Kaspisee nach Aserbaidschan zu bauen, um den Rohstoff von dort aus nach Europa leiten zu können, galten lange Zeit völkerrechtliche Unklarheiten bezüglich des Gewässers: Nach dem Ende der Sowjetunion im Jahr 1991 konnten sich vor allem die Regierungen Aserbaidschans, Turkmenistans und Irans nicht auf eine Grenzziehung im Kaspischen Meer einigen. Viele Erdölförderprojekte im Kaspisee sowie Pipelines durch ihn hindurch kamen deswegen meist nicht über die Planungsphase hinaus. Im August 2018 erzielten nun die Staats- und Regierungschefs der Anrainer des Kaspisees eine Einigung über dessen völkerrechtlichen Status. Damit ist eine wichtige Grundlage geschaffen, um Pipeline-Projekte durch ihn hindurch zu planen.[9] Die EU hat deshalb erstmals realistische Aussichten, den derzeit nur bis Aserbaidschan reichenden Südlichen Gaskorridor nach Turkmenistan weiter auszubauen – an Russland vorbei.
Transportkorridore
Entsprechend erklärten die Außenminister Aserbaidschans, Georgiens, Rumäniens und Turkmenistans am 4. März in Bukarest die Gründung des Internationalen Transportkorridors Schwarzmeer-Kaspisee (Black Sea-Caspian Sea, BSCS). Dieser Korridor ist eine Verbindung von Fähren und Eisenbahnverbindungen zwischen dem rumänischen Constan?a und der turkmenischen Hafenstadt Turkmenbaschi (früher Krasnowodsk). Parallel zu dem Treffen in Bukarest hielt sich Christian Berger, der seit 1986 im deutschen auswärtigen Dienst arbeitet, in der turkmenischen Hauptstadt auf und besprach die Eröffnung eines EU-Vertretungsbüros.[10] In Zentralasien unterhält die EU solche Büros derzeit lediglich in Afghanistan und in Kasachstan. Aschgabad wäre das dritte EU-Vertretungsbüro in der Region.
„Wichtiger Partner“
Begleitend bieten sich deutsche Unternehmen für – durchaus profitable – Unterstützungsleistungen für Turkmenistan an. Wüsten decken 80 Prozent von dessen Fläche ab, weshalb das Land angesichts des Klimawandels fast überall mit Desertifikation zu kämpfen hat.[11] Hohe Bedeutung besitzt deshalb die Entsalzung von Wasser aus dem salzreichen Kaspisee. Im November 2018 reiste der Außenminister des zentralasiatischen Landes, Raschid Meredow, nach Deutschland, um Partner für Entsalzungsprojekte zu suchen. Nach einem Treffen von Meredow mit Außenminister Heiko Maas (SPD) stufte das Auswärtige Amt Turkmenistan als „wichtigen Partner in Zentralasien“ ein.[12] Die südhessische Firma PWT Wasser- und Abwassertechnik GmbH (Zwingenberg) hatte die erste Meerwasserentsalzungsanlage des zentralasiatischen Landes, gelegen am Ostufer des Kaspisees, errichtet. Eine zweite deutsche Firma, Chriwa Wasseraufbereitungstechnik GmbH (Hambühren), hatte im Jahr 2009 ebenfalls eine Entsalzungsanlage in Turkmenistan fertiggestellt.[13] Im Februar 2019 unterzeichneten Abgesandte des turkmenischen Landwirtschaftsministeriums sowie Vertreter deutscher Unternehmen unter anderem Abkommen über die Nutzung von Wasser in Turkmenistan und über das Training turkmenischer Wasserspezialisten.[14]
Keine Antwort
Die deutsch-turkmenischen Geschäfte umfassen auch heikle Bereiche. Im Februar 2018 reiste ein Vertreter des Münchner IT-Sicherheitskonzerns Rohde & Schwarz nach Aschgabad und traf sich dort mit Staatschef Berdimuhamedow. Ihm zufolge will seine Firma die Beziehungen mit Turkmenistan ausbauen. Auf die Anfrage der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, welche Dienstleistungen Rohde & Schwarz bisher für Turkmenistan geleistet habe und was derzeit geplant sei, gab es keine Antwort.[15] Das Unternehmen baut unter anderem Cybersecurity-Systeme für Regierungen und Militärs. Der Eurofighter der Bundeswehr etwa arbeitet mit Funkgeräten aus seiner Produktion.
Bankgeschäfte
Eine deutsche Firma mit langjährigen besonderen Beziehungen zu Turkmenistan ist die Deutsche Bank. Im Februar dieses Jahres hielt sich eine Delegation des Finanzinstituts unter Leitung von Jörg Bongartz zu einem Arbeitstreffen mit Vertretern des turkmenischen Außenministeriums in Aschgabat auf. Die deutsche Seite erklärte, die Beziehungen erreichten derzeit ein „qualitativ neues Level“.[16] Bongartz hatte bis ins Jahr 2015 als Russland-Chef der Deutschen Bank in Moskau gearbeitet. Er wurde nach einer Geldwäsche-Affäre aus der Russischen Föderation abgezogen.[17]
Alte Verbindungen
Bereits unter Berdimuhamedows Vorgänger Saparmurat Nijasow, der das Land autokratisch von 1991 bis 2006 regierte, hielt die Deutsche Bank enge Kontakte nach Turkmenistan. Nijasow hatte bei dem Finanzinstitut rund drei Milliarden US-Dollar deponiert, die er aus den Erdgaserlösen seines Landes abgezweigt hatte. Nach seinem Tod sprach sich die Nichtregierungsorganisation „Global Witness“, die sich für Transparenz und Korruptionsbekämpfung einsetzt, dafür aus, die Deutsche Bank solle Nijasows Gelder einfrieren. Eine Reaktion des Kreditinstituts blieb aus.[18]
[1] David X. Noack: Politics of Neutrality in the Post-Soviet Space – A Comparison of Concepts, Practices, and Outcomes of Neutrality in Moldova, Turkmenistan, and Ukraine 1990-2015, in: Pascal Lottaz/Herbert R. Reginbogin (Hgg.): Notions of Neutralities, Lanham/Boulder/New York/London 2019, S. 267–288 (hier: S. 273).
[2] Ben Irwin: A night out in Turkmenistan: The North Korea of central Asia. newshub.co.nz 05.10.2017.
[3] Britta Kollenbroich: Turkmenischer Präsident – Merkels bizarrer Gast. spiegel.de 29.08.2016.
[4] Catherine Hickley: Turkmenistan sends treasures to Berlin in diplomatic move. theartnewspaper.com 25.04.2018.
[5] The Presidential Boeing lands in Germany for the second time this week. en.hronikatm.com 15.06.2018.
[6] Deutsch-turkmenische Regierungsarbeitsgruppe tagte in Berlin. zentralasien.ahk.de 04.05.2018.
[7] Auf der Suche nach Investitionen: Deutsch-Turkmenisches Businessforum in Berlin. daz.asia 22.02.2019.
[8] The Turkmen-German business forum was held in Germany. germany.tmembassy.gov.tm 14.02.2019.
[9] Olzhas Auyezov: Russia, Iran, and three others agree Caspian status, but not borders. reuters.com 12.08.2018.
[10] Bruce Pannier: Turkmenistan’s Route To The European Union. rferl.org 11.03.2019.
[11] Kamila Aliyeva: Turkmenistan combating desertification. azernews.az 20.06.2017.
[12] Auswärtiges Amt, twitter.com 15.11.2018.
[13] Turkmenistan: Taking things with a grain of salt. eurasianet.org 20.11.2018.
[14] Turkmenistan inks several deals with Germany in agriculture sector. azernews.az 15.02.2019.
[15] HRW urges the German company to disclose business dealings on supplying surveillance equipment to Turkmenistan. en.hronikatm.com 25.06.2018.
[16] ? ??? ????????????? ?????????? ??????? ? ?????????? «DEUTSCHE BANK AG». mfa.gov.tm 26.02.2019.
[17] Deutsche Bank zieht Russland-Chef aus Moskau ab. manager-magazin.de 14.09.2015.
[18] Turkmenistan: German Bank Complicit in Niyazov’s Reign of Terror – Report. eurasianet.org 11.03.2009.
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 05.04.2019.
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