Auf „populistischen Pfaden“
Auseinandersetzungen um den bevorstehenden Verkauf eines der größten Stahlwerke Osteuropas verdeutlichen eine außenpolitische Umorientierung in der Slowakei. Der deutsche ThyssenKrupp-Konzern ist als möglicher Käufer des riesigen Stahlwerks in Košice (Ost-Slowakei) im Gespräch. Das Werk ist der größte Arbeitgeber des Landes und besitzt – auch aufgrund seiner geographischen Nähe zu den Erzlagerstätten der Westukraine – strategische Bedeutung. Die Entscheidung über den Käufer steht zu einer Zeit an, da die neue Regierung in Bratislava sich neue ökonomische und außenpolitische Spielräume gegenüber Deutschland verschaffen will. Mittel dazu sind eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich und Russland – als Käufer des Stahlwerks in Košice ist auch ein russischer Konzern im Gespräch – und Pläne zur Rückverstaatlichung des slowakischen Erdgasmonopolisten SPP, auf den bis heute die deutsche E.ON Ruhrgas AG maßgeblichen Einfluss besitzt. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico knüpft mit seiner vorsichtigen Opposition gegen Berlin an seine erste Amtszeit an – und erhält in Deutschland eine entsprechend schlechte Presse.
Die Macht der Konzerne
Aktuellen Berichten zufolge ist ThyssenKrupp, der größte Stahlkonzern Deutschlands, als Käufer von U.S. Steel Košice im Gespräch. Das Stahlwerk, das der US-Mutterkonzern abstoßen will, ist das drittgrößte slowakische Unternehmen und mit 11.000 Angestellten zudem der größte Arbeitgeber der Slowakei. Als Interessenten werden derzeit neben ThyssenKrupp die ukrainische Metinvest sowie der russische Evraz-Konzern genannt. Metinvest wird dem Umfeld des ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch zugerechnet; Evraz gehört dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, der sich – wie einige andere Oligarchen auch – von Staatspräsident Wladimir Putin auszahlen ließ, damit dieser den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft wieder ausdehnen konnte. Das Stahlwerk Košice ist bereits das zweite in Osteuropa, das binnen nur zwei Jahren von U.S. Steel aufgegeben wird: Die größte serbische Metallhütte Zelezara Smederevo, lange ebenfalls im Besitz des US-Konzerns, wird derzeit an einen russischen Konzern übertragen. Auf dem Spiel steht in Košice damit auch eine spürbare Verschiebung des Einflusses äußerer Mächte auf die osteuropäische Industrie.
Nach Osten schwingen
Eine solche Verschiebung entspräche durchaus den Absichten der Regierung von Ministerpräsident Robert Fico. Fico hatte bereits in seiner ersten Amtszeit (2006 bis 2010) Russland und Belarus einen größeren Stellenwert in der slowakischen Außenpolitik eingeräumt. Als sich im März 2012 abzeichnete, dass er erneut die Regierungsgeschäfte führen werde, prophezeite die liberalkonservative Presse: „Die Außenpolitik wird wieder nach Osten zurückschwingen, wonach Fico schon immer das Herz stand“.[1] Als im Frühjahr Berlin und Brüssel eine Kampagne gegen die mit Russland kooperierende Regierung der Ukraine starteten, da weigerte sich der mit Fico verbündete Staatspräsident Ivan Gašparovic, sich daran zu beteiligen: „Die Ukraine ist unser Nachbar und wir sind an einem offenen Dialog mit ihr interessiert“.[2] Eine deutliche Sprache spricht die – im Westen kaum beachtete – Entscheidung der Regierung Fico, den Bau einer Breitspureisenbahn bis nach Wien weiterzuverfolgen. Bisher endet die russische Breitspurstrecke, über die Güter aus Russland Richtung Westen transportiert werden, im ostslowakischen Košice. Die russischen Staatsbahnen hegen schon lange den Plan, die Strecke zu verlängern, um die Absatzmärkte in der EU besser zu erschließen. Ficos Vorgängerregierung hatte den Ausbau der Breitspureisenbahn gestoppt; dies war keineswegs zu Unrecht als ein Affront gegen Moskau verstanden worden. Fico ist nun im Begriff, diese Entscheidung rückgängig zu machen.
Die gleiche Farbe
Auch gegenüber Westeuropa vollzieht Fico, dessen linkssozialdemokratische Regierung im Frühjahr 2012 das liberalkonservative, prodeutsche Kabinett von Iveta Radicová abgelöst hatte, einen Kurswechsel. Fico und der französische Staatspräsident François Hollande äußerten sich übereinstimmend kritisch über den von Berlin durchgesetzten Fiskalpakt. „Hollandes Einstellung ist der unsrigen sehr nahe“, erklärte der slowakische Politiker im März 2012 über die Absicht des heutigen französischen Staatspräsidenten, den Fiskalpakt neu verhandeln zu wollen: „Eine fiskale Konsolidierung, die nur auf Einschnitten basiert, ist kein guter Weg“.[3] In Paris wird die Kooperationsbereitschaft erwidert: Hollande ließ vernehmen, er trage „die gleiche Farbe wie Fico“ und wolle enger mit diesem zusammenarbeiten.[4]
Gegen deutsche Interessen
Die Abkehr vom deutschen Modell drückt sich auch in handfesten ökonomischen Entscheidungen der Regierung Fico aus. So hat der slowakische Ministerpräsident im Sommer angekündigt, die „flat tax“ wieder abschaffen zu wollen. Die „flat tax“, eine einheitliche Mehrwert- und Einkommenssteuer, war im Januar 2004 eingeführt worden. Als einer der führenden Köpfe bei dem Vorhaben galt damals Richard Sulík, ein Anhänger des deutschen Steuerrechtlers Paul Kirchhof; nach der Einführung der Einheitssteuer, die als sozial besonders ungerecht kritisiert wird, hatte eine bekannte deutsche Zeitschrift getitelt: „Wo Kirchhof funktioniert“.[5] Ein zweites Beispiel: Beim Verkauf des slowakischen Slovglass-Konzerns, einem für die slowakische Industrie bedeutenden Unternehmen, kam die deutsche Firma „AHG Industry“ nicht zum Zug; Slovglass ging an die Firma Convey und blieb damit in slowakischem Besitz. Die Nicht-Berücksichtigung deutscher Interessen liegt auf der Linie der aktuellen Regierungspolitik in Bratislava, die die eigenen Spielräume wieder ausweiten will.
Rückverstaatlichung
Dasselbe trifft auf das Vorhaben der Regierung Fico zu, die Kontrolle über den Gasmonopolisten Slovenský plynárenský priemysel (SPP) wieder zu übernehmen. Im Zuge der Privatisierung des Unternehmens im Jahr 2002 durch die prodeutsche Regierung von Mikuláš Dzurinda (1998-2006) hatte ein Konsortium von E.ON Ruhrgas und GDF Suez 49 Prozent der Aktien und den Vorsitz wie auch die Entscheidungsgewalt über das Unternehmen (die „goldene Stimme“) übernommen. Fico hatte dagegen bereits in seiner ersten Amtszeit gedroht, das Unternehmen wieder zu verstaatlichen. Dieses Jahr hat seine Regierung das Vorhaben bestätigt, allerdings eingeräumt, zur Zeit nicht die nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu haben. Mittlerweile tobt ein heftiger Streit zwischen beiden Seiten, der unter anderem dadurch ausgelöst wurde, dass die Regierung eine Gaspreiserhöhung verhindern will. Auf lange Sicht gilt jedoch die Übernahme der Unternehmensanteile von E.ON Ruhrgas und GDF Suez durch den slowakischen Staat als wahrscheinlich.
Schlechte Presse
Wie in ähnlichen Fällen erhält die Regierung Fico, die sich um eigene politische und ökonomische Spielräume gegenüber der deutschen Vormacht bemüht, in der Bundesrepublik weithin schlechte Presse. Fico pflege „einen autoritären Führungsstil“ [6], heißt es; er wandle „auf populistischen Pfaden“, und er schere sich „bisweilen reichlich wenig um demokratische Gepflogenheiten“ [7]. Urteile wie diese sind gemeinhin Politikern und Staaten vorbehalten, die sich zentralen deutschen Vorstellungen verweigern. Kooperationsbereite Regimes wie etwa diejenigen in den arabischen Golfdiktaturen bleiben regelmäßig von ihnen verschont.
[1] Peter Morvay: Cierna diera Európy; SME 11.10.2011
[2] Slovakia declines to join growing European boycott of Ukraine; The Slovak Spectator 02.05.2012
[3] Slowakei: Neuer Premier Fico zweifelt am EU-Fiskalpakt; Deutsche Mittelstands Nachrichten 16.03.2012
[4] Hollande: Fico and I wear the same colours; we’ll cooperate in this spirit; The Slovak Spectator 21.09.2012
[5] Wo Kirchhof funktioniert; www.focus.de 05.09.2005
[6] Autoritäre Kräfte auf dem Vormarsch; Märkische Oderzeitung 12.07.2012
[7] Vorbild ist Polen, nicht Ungarn; Stuttgarter Zeitung 13.07.2012
german-foreign-policy.com, 03.12.2012