Pjöngjang an der Donau
Vor den Parlamentswahlen in der Slowakei an diesem Wochenende intensiviert Berlin seine Unterstützung für die slowakische Opposition. Mehrere parteinahe Stiftungen unterstützen oppositionelle Organisationen und üben deutliche Kritik an der Regierung. Über die Friedrich-Naumann-Stiftung haben Spitzenkandidaten der Opposition Zugang zur Bundesregierung erhalten. Ursache der deutschen Einmischung in Bratislava sind fortdauernde Widerspenstigkeiten der aktuellen slowakischen Regierung, die sich eine relative Eigenständigkeit auch in ihrer Außenpolitik zu bewahren sucht und deshalb mit der EU-Hegemonialmacht in ernste Konflikte gerät. Bereits in den 1990er Jahren hatte die Slowakei gegen die deutsche Hegemonie in Osteuropa opponiert, bis die damalige Regierung Meciar unter starkem Druck aus Deutschland und den Vereinigten Staaten abgewählt wurde. Seit im Jahr 2006 erneut auf Eigenständigkeit bedachte Kräfte in Bratislava an die Regierung gelangt sind, nehmen auch die Pressionen aus Berlin wieder zu.
Richtungskämpfe
Bratislavas Versuche, sich eine gewisse außenpolitische Eigenständigkeit gegenüber Deutschland und der EU zu bewahren, begannen bereits Anfang der 1990er Jahre. Noch vor der Spaltung der Tschechoslowakei reiste der damalige Ministerpräsident der slowakischen Teilrepubik, Vladimir Meciar, nach Moskau, um dort bedeutende Kooperationsverträge abzuschließen. Unter anderem ging es dabei um Vorzugsbedingungen bei Erdöllieferungen aus Russland, die der Slowakei 1993 kurz nach ihrer Trennung von Tschechien von Moskau zugesichert wurden (Surgut-Abkommen). Die Slowakei war der einzige Staat außerhalb der GUS, der solche Vergünstigungen im Gegenzug gegen außen- und militärpolitische Zusammenarbeit mit Russland erhielt. Bonn machte deutlich, was es davon hielt: Im Frühjahr 1992 stoppte ein bundesdeutscher Flottenverband unter Führung des Zerstörers „Mölders“ einen slowakischen Panzertransport im Mittelmeer. Das Kriegsgerät war für Syrien bestimmt, das im Golfkrieg 1991 noch mit dem Westen verbündet war. Medien nannten die Aktion, die mit „Gefahr im Verzug“ begründet wurde, eine „spektakuläre Kaperung“ [1]; sie sollte Bratislava verdeutlichen, welche Folgen es haben könne, sich mit Deutschland anzulegen. Deutsch kontrollierte tschechoslowakische Medien zeichneten damals das Bild eines angeblichen Sicherheitsvakuums in Osteuropa und schlossen bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb der Tschechoslowakei nicht aus.[2] Zum 1. Januar 1993 trennten sich schließlich Tschechien und die Slowakei.
Konkurrenz
Nicht nur Deutschland bemühte sich damals um Einfluss in Prag und Bratislava. Bereits 1990 hatte Italien begonnen, seine Kontakte zur Tschechoslowakei deutlich zu aktivieren.[3] Rom suchte seine Beziehungen nach Prag – und später auch separat nach Bratislava – auszubauen, um der deutschen Hegemonie etwas entgegenzusetzen. Aus diesem Grund wurden insbesondere die Beziehungen zwischen politischen Parteien in Italien und der Slowakei intensiviert. So kooperierten die sozialdemokratische Partei Italiens und Berlusconis Forza Italia mit slowakischen Parteien. Der italienische Einfluss schwand allerdings schon bald; die slowakische Regierung bemühte sich um einen Weg der „politischen Selbständigkeit“.[4]
Keine Selbständigkeit
Im Jahr 1998 wurde die Regierung Meciar nach heftigen Auseinandersetzungen mit Deutschland und der EU abgewählt. Hierzu hatten maßgeblich US-amerikanische und deutsche Organisationen beigetragen. So gehörte eine Teilorganisation der ab 1998 an der Regierung beteiligten slowakischen Parteienallianz SMK (Strana Madarskej Koalicie, Partei der Ungarischen Koalition) der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) an, die von Deutschland aus und mit deutschen Staatsgeldern in Europa und Teilen Asiens operiert.[5] Die norditalienische Südtiroler Volkspartei, die die deutsche „Volksgruppen“-Politik besonders aktiv verfolgt, unterstützte die SMK in ihrem ethnischen Separationsbestreben, das den Bestand der Slowakei bedroht.[6] Unter der neuen Regierung in Bratislava konnte die FUEV im Jahr 2000 einen ihrer Kongresse in der Slowakei durchführen. Das amerikanische National Endowment for Democracy finanzierte zur Wahl 1998 seinerseits Kampagnen zum Sturz von Vladimir Meciar.[7]
Prioritätenwechsel
Seit 2004 versuchen relevante Kräfte in Bratislava sich erneut leicht von Deutschland abzusetzen. Zunächst wurde Ivan Gašparovic, der in den 1990er Jahren gegen den Verkauf strategisch wichtiger Unternehmen an den Westen opponiert hatte, zum slowakischen Präsidenten gewählt. Dies führte in Berlin zu Überlegungen über Maßnahmen gegen opponierende EU-Mitgliedsländer: Man müsse „über den Umgang mit Mitgliedsstaaten“ diskutieren, „in denen radikale, populistische oder europaskeptische Parteien Regierungsverantwortung innehaben“, hieß es damals bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[8] Im Jahr 2006 gelangte in der Slowakei schließlich die Partei SMER unter Ministerpräsident Robert Fico an die Regierung; sie wollte sich ebenfalls eine gewisse Eigenständigkeit erkämpfen und traf damit in Berlin nicht auf positiven Widerhall. So schloss die Sozialdemokratische Partei Europas maßgeblich auf Druck der SPD die slowakische SMER-Partei aus – sie habe, hieß es, die „gemeinsamen Werte“ verraten. Berlin lud den neuen slowakischen Premier demonstrativ nicht zu einem Antrittsbesuch ein. Bratislava verbesserte in den folgenden Jahren seine Beziehungen zu Belarus, Libyen, Syrien, Russland, Vietnam und China.
Irredenta
Zugleich mit dem deutschen Druck auf die neue slowakische Regierung eskalierte der ungarische Irredentismus, der mit dem deutschen seit Jahrzehnten verbunden ist: Die Einflussnahme auf die ungarischsprachige Minderheit der Slowakei durch maßgebliche Kräfte in Budapest nahm Schritt für Schritt zu. Einen neuen Höhepunkt erreicht der ungarische Druck in diesen Tagen: Der frisch gewählte ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz auf den Weg gebracht, das den Angehörigen der ungarischsprachigen Minderheit in der Slowakei die ungarische Staatsbürgerschaft zuspricht und sie damit Budapest unterstellt. In Bratislava ist inzwischen der nationale Sicherheitsrat einberufen worden. Gleichzeitig nimmt die PR-Agitation gegen die SMER-Regierung unter Robert Fico zu. Eine große Wiener Tageszeitung bezeichnete Anfang des Jahres die Slowakei als „Pjöngjang an der Donau“.[9]
Wahlkampfunterstützung
Unterstützt wird die slowakische Opposition, die Berlin gegenüber kooperationsbereit ist, unter anderem durch die parteinahen deutschen Stiftungen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) äußert „Zweifel“ an der „politischen Ausrichtung“ der sozialdemokratischen SMER. Die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) erklärt, Fico stehe in Kontinuität zu Meciar, und arbeitet mit Partnern des US-amerikanischen National Endowment for Democracy zusammen, das bereits am Sturz Meciars mitgewirkt hat. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung bietet oppositionellen Organisationen ein Forum und organisierte kürzlich ein Treffen, auf dem Vertreter der zwei bedeutendsten Oppositionsparteien zusammenkamen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) schließlich polemisiert, der slowakische Staatspräsident habe sich mehr als „Sportfan denn als Politiker einen Namen gemacht“.[10] In Berlin organisierte sie unlängst ein Zusammentreffen der Spitzenkandidaten ihrer slowakischen Partnerparteien mit führenden Vertretern der FDP. Dabei wurden die slowakischen Oppositionellen nicht nur vom FDP-Generalsekretär begrüßt, sondern auch von einem seiner Amtsvorgänger – von Bundesaußenminister Guido Westerwelle.
[1] 26 Tage geschlafen; Der Spiegel 03.02.1992
[2] German influence in Eastern Europe
[3] Radko Brach: Die Außenpolitik der Tschechoslowakei zur Zeit der „Regierung der nationalen Verständigung“, Köln 1991
[4] Hannes Hofbauer: EU-Osterweiterung: Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen, Wien 2007
[5] s. dazu FUEV-Delegation in der Slowakei, in: FUEV aktuell 2000-03
[6] Geoffrey Pridham: Complying with the European Union’s Democratic Conditionality: Transnational Party Linkages and Regime Change in Slovakia 1993-1998, in: Europe-Asia Studies, Vol. 51, Nov. 1999, S. 1226-1229.
[7] Rede von Carl Gershman, in: Seoul: Civic Education and Democracy – The NED Experience, 14.12.1998. Nadia Diuk: In Ukraine – Homegrown Freedom; Washington Post 04.12.2004
[8] Freie Wahlen
[9] Burkhard Bischof: Pjöngjang an der Donau; Die Presse 05.03.2010
[10] Dr. Borek Severa: Staatspräsident Gasparovic im Amt bestätigt – Politische Berichte aus aktuellem Anlass, Bratislava 09.04.2009
german-foreign-policy.com, 09.06.2010