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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

An den Randgebieten des russischen Empires

Die Donbass-Republiken sind nicht die einzigen De-facto-Regime, die von Moskau unterstützt werden. In Abchasien und Transnistrien zeigt sich, welche Strategie der Kreml in Zukunft in der Ukraine verfolgen könnte.

Der völkerrechtswidrige russische Einmarsch in der Ukraine, die beispiellosen westlichen Sanktionen gegen Russland und die enge Allianz von Belarus und der Russischen Föderation im Ukrainekrieg haben Anfang des Jahres 2022 Erzählungen einer »neuen Blockkonfrontation« neuen Auftrieb verschafft. Um Russland herum würden eine Reihe von Staaten – allen voran Armenien, Belarus und einige zentralasiatische Republiken – einen »neuen Ostblock« bilden, in dessen Kern die russische Welt (»Russki mir«) stehe. Die De-facto-Regime Abchasien und Transnistrien gehören beide zu dieser Welt und spielen eine wichtige Rolle für das russische Empire und in einem geringeren Maße den »neuen Ostblock«. Die beiden Gebiete sind eng an Russland gebunden, werden international aber nicht als unabhängige Staaten anerkannt.

Das amerikanische Empire umspannt heutzutage den Planeten. Nach dem Ende der Systemkonfrontation mit der Sowjetunion am Ende des 20. Jahrhunderts hatte Washington für zwei Jahrzehnte keine globalen Konkurrenten mehr. Mit dem beispiellosen ökonomischen Aufstieg Chinas in den vergangenen fünfzehn Jahren gibt es zwar einen wirtschaftlichen Konkurrenten, der die globale US-Dominanz herausfordert, doch Peking münzt seinen Aufschwung bislang nicht in den Aufbau eines regionalen Blocks um.

Im Norden Eurasiens existiert aber noch das russische Empire. Wirtschaftlich gesehen ist Russland auf der globalen Ebene nur ein ganz kleiner Spieler. Laut der Weltbank war Russlands Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr etwas niedriger als das von Südkorea und etwas höher als das von Spanien. Die Russische Föderation hat schlicht nicht die wirtschaftliche Stärke, um als regionaler Hegemon eine Reihe kleinerer Staaten an sich zu binden.

Militärisch bleibt das Land – auch als Erbe der Sowjetunion – jedoch eine Großmacht. Das gilt allen voran im Bereich der Atomwaffen – Russland besitzt derzeit knapp 6.000 nukleare Sprengköpfe. Mit mehr als einer Million aktiver Soldatinnen und Soldaten hat die russische Armee eines der fünf größten stehenden Heere weltweit. Hinzu kommt eine Reihe von Militärbasen im Ausland, die vor allem im post-sowjetischen Raum angesiedelt sind, aber auch in Syrien.

Politökonomisch ist Russland ein kapitalistischer Staat, jedoch mit einem größeren staatlichen Sektor, als es sich so einige neoliberale Vordenker wünschen. Um sich trotzdem vom amerikanischen Empire abzusetzen, vollzog der russische Präsident Wladimir Putin vor zehn Jahren eine Wende hin zum Konservatismus. Im Zuge dessen erfolgte seine enge Verbrüderung mit der reaktionären orthodoxen Kirche und die Diskriminierung sexueller Minderheiten. Russland soll dabei als konservativer Gegenentwurf zum liberalen Westen inszeniert werden.

Zwischen Sowjet-Symbolik und russischem Kapitalismus

Das noch nicht einmal von Russland anerkannte De-facto-Regime Transnistrien – das im Osten an die Republik Moldau grenzt, die wiederum zwischen Rumänien und der Ukraine liegt – zeigt, wie stark die Zentralmacht in Moskau tatsächlich ist. Das Gebiet des heutigen Transnistriens gehörte bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zur Sowjetunion, während die Gebiete westlich des Flusses Dnjestr an Rumänien fielen. Ab 1929 diente Tiraspol als Hauptstadt der Region. Nach dem Zweiten Weltkrieg – Gesamtmoldau gehörte seitdem zur UdSSR – entwickelte sich Tiraspol zu einer nach sowjetischen Vorstellungen vorbildlichen Stadt zur Schaffung eines »Homo sovieticus«. Die Bevölkerung in der Region setzte sich demographisch aus rund einem Drittel Moldauerinnen, einem Drittel Ukrainer und einem Drittel Russinnen zusammen – das ist bist heute so geblieben. Tiraspol war wie eine Art sowjetischer Schmelztiegel: Alle diese Menschen sprachen Russisch und lebten friedlich miteinander. Doch dieser Traum endete mit dem Niedergang der Sowjetunion.

Als 1990 in der moldauischen Hauptstadt Chi?in?u eine nationalistische politische Elite an die Regierung kam, welche die Unabhängigkeit von Moskau forcierte, sammelten sich die Gegner der Abspaltung im Dnjestr-Tal. Dort entstand das moderne Transnistrien, amtlich die Pridnewstrowische Moldauische Republik (PMR), welches sich nach der moldauischen Unabhängigkeit ebenso für eigenständig erklärte – jedoch von keinem UN-Mitgliedsland anerkannt wurde. Der kurze, aber heftige Transnistrienkrieg 1992 besiegelte die Abspaltung. Zur Beendigung des Konflikts überwacht seitdem eine Friedenstruppe aus moldauischen, russischen und transnistrischen Soldaten das Grenzgebiet.

Während sich die Nationenbildung in Moldau in Abgrenzung zur Zaren- und Sowjetzeit vollzog, behielt Transnistrien die sowjetische Staatssymbolik und große Teile des politischen Systems bei. Die FAZ titelte 1993, Transnistrien sei die »Sowjetische Bastion am Dnjestr«. Das Gebiet konnte vor allem überleben, da es als industrielles Zentrum beispielsweise das wichtige Stahlwerk in Rybniza, das Elektrizitätswerk Kutschurgan, die Textilfabrik Tirotex und die Weinbrennerei des im post-sowjetischen Raum äußerst beliebten Cognacs Kvint beherbergt. Doch auch russische Rentenzahlungen sowie Gaslieferungen, deren Abrechnung Moskau aus politischen Gründen vertagt, haben für wirtschaftliche Stabilisierung gesorgt.

1997 legten die Konfliktparteien im Moskauer Memorandum fest, dass Transnistrien eigenständig Bildungs- und Handelskontakte mit dem Ausland unterhalten darf. Infolgedessen etablierte beispielsweise die Universität Tiraspol eine Partnerschaft mit dem Lyndon State College in den USA und die sächsische Kleinstadt Eilenburg pflegte eine Städtepartnerschaft mit der transnistrischen Hauptstadt. Für westeuropäische Firmen war Transnistrien außerdem als Textilhersteller mit niedrigen Lohn- und Produktionskosten interessant. Aldi und Quelle ließen beispielsweise bei Tirotex Bettwäsche herstellen und der Luxus-Konzern Prada gab bei Intercentre Lux Jacken in Auftrag, welche die italienische Firma für 30 Euro in Transnistrien einkaufte und für knapp 2.000 Euro an das westeuropäische Publikum verhökerte. Während die Nichtanerkennung verhinderte, dass IWF, Weltbank und WTO Privatisierungen und Liberalisierungen durchsetzen, entdeckten westeuropäische Großkonzerne die Vorzüge einer verlängerten Werkbank.

Die Konfliktlösung mit der Zentralregierung in Chi?in?u blieb jedoch kompliziert. Sowohl 2003 als auch 2011 gab es von Russland vermittelte Kompromissvorschläge, die jeweils durch politische Interventionen aus Washington verhindert wurden. Infolgedessen verloren die politischen Eliten in Moldau das Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts. Das mag auch daran liegen, dass westlich und östlich des Dnjestrs Oligarchinnen und Oligarchen an Einfluß gewonnen haben: Experten gehen davon aus, dass die Oligarchinnen aus Transnistrien im Falle einer Wiedervereinigung ihre moldauischen Konkurrenten übertrumpfen könnten.

Trotz der an die Sowjetunion angelehnten Staatssymbolik startete Transnistrien Ende der 1990er Jahre eine Privatisierungswelle. Einflussreiche ukrainische und russische Oligarchen erhielten Zugriff auf beispielsweise das Stahlwerk in Rybniza, gleichzeitig entstand mit der Sheriff-Gruppe eine eigene transnistrische Oligarchen-Clique. Seit der Präsidentschaftswahl 2016 kontrolliert der politische Arm der Sheriff-Gruppe, die Erneuerungspartei, Parlament und Präsidentenamt. Auch ohne den Einfluss der Organisationen des Washingtoner Konsenses, sondern vor allem durch russischen Druck, entstand in Transnistrien ein politisches System, welches zwar dem Anschein nach sowjetisch, tatsächlich aber russisch-kapitalistisch ist.

Das Besondere an Transnistrien ist dessen Rolle im derzeitigen russischen Empire: Zwar sind russische Truppen dort stationiert, das transnistrische Militär wird vom russischen ausgebildet und politisch sowie kulturell sieht sich die politische Elite in Tiraspol als Teil der russischen Welt – aber wirtschaftlich ist das Gebiet auf die EU ausgerichtet. Nach deutscher Vermittlung trat Transnistrien 2016 dem »tiefen Freihandelsabkommen« (Deep and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA) der Republik Moldau mit der EU bei. Schon seit einigen Jahren gehen mehr als die Hälfte aller Exporte in die EU und Diplomatinnen und Diplomaten aus den NATO-Staaten gehen in Tiraspol ein und aus. Im Jahr 2017 war der transnistrische Präsident Wadim Krasnoselski sogar zu Besuch in London.

Lange Zeit schien Russlands die Strategie zu verfolgen, Transnistrien als Faustpfand für die Republik Moldau zu behalten. Das Land sollte seine Neutralität nicht aufgeben. Doch das ist nun passé: Moldau ist mit der EU assoziiert und selbst Transnistrien richtet sich wirtschaftlich nach Westeuropa aus. Transnistrien dient nur noch politisch, kulturell und militärisch als russischer Vorposten in Südosteuropa.

Von der »sowjetischen Riviera« zum EU-Handelspartner

Ganz anders als in Transnistrien entwickelten sich Kultur, Staat, Gesellschaft und Politik in Abchasien an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Die Bevölkerung Abchasiens war eng mit den nordkaukasischen Tscherkessinnen und Tscherkessen verbandelt. Unter dem Genozid an der tscherkessischen Bevölkerung, im Zuge dessen in den 1860er Jahren Zehntausende von ihnen in das damalige Osmanische Reich deportiert wurden, litten die Abchasierinnen und die Abchasier sehr. Nach der Oktoberrevolution existierte für ein Jahrzehnt eine Abchasische Sowjetrepublik unter dem früheren Bauernanführer Nestor Lakoba. Als dieser bei Josef Stalin in Ungnade fiel, gliederte er das Gebiet Abchasiens in Georgien ein. Verschiedene »Georgisierungswellen«, die unter dem georgischen KP-Chef Lawrenti Beria begannen und sich bis in die 1980er Jahre zogen, sorgten für Unmut unter den Abchasierinnen und Abchasiern. Vor seinem Tod im Jahr 1953 setzte Beria durch, dass es keine Schulen, kein Radio sowie keine Zeitungen und Zeitschriften in abchasischer Sprache mehr geben sollte. Abchasisch gehört zu den nordwestkaukasischen Sprachen und hat mit dem südkaukasischen Georgisch nur wenig gemein.

Aufgrund seiner Strände und dem angrenzenden Kaukasusgebirge war Abchasien in der gesamten Sowjetzeit das präferierte Urlaubsziel für die Nomenklatura der UdSSR. Sowohl Stalin als auch Trotzki hatten Villen in der »sowjetischen Riviera«. Aber auch die Durchschnittsbevölkerung strömte an die abchasischen Strände und in die Berge: Ende der 1980er Jahre verbuchte die Region jährlich zwischen 2,5 und 3 Millionen touristische Besucherinnen und Besucher – damals lebten dort gerade einmal etwa eine halbe Million Menschen. Durch das subtropische Klima profitierte die autonome Sowjetrepublik auch vom Anbau von Tabak, Wein und Zitrusfrüchten und galt als eine der wohlhabenderen Regionen in der UdSSR.

Als mit Swiad Gamsachurdia 1990 ein georgischer Nationalist in Tiflis das Ruder übernahm, traf das auf offene Ablehnung in der abchasischen Hauptstadt Suchum. Der aus einer Adelsfamilie stammende Dissident kam in der Sowjetunion als Antikommunist mehrmals in Haft, war Anhänger der Anthroposophie und sorgte mit seiner Losung »Georgien den Georgiern« für Unbehagen bei den vielen Minderheiten in der späten Sowjetrepublik.

Die politische Elite in Abchasien profitierte vom Warenaustausch mit und dem Tourismus aus Russland; es gab entsprechend wenig Unterstützung für eine Unabhängigkeit von Moskau. Mit der Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 wurde auch Georgien unabhängig. Abchasien blieb davon zunächst unberührt, bis im August 1992 – einen Monat nach dem Ende des Südossetienkrieges – georgische Truppen einmarschierten. Mit Hilfe von Kämpfern aus dem Nordkaukasus, unter anderem aus dem von Russland abgespaltenen Tschetschenien, gewannen die Abchasierinnen und Abchasier diesen Krieg im Herbst 1993.

Da die georgische Zentralregierung den tschetschenischen Kontakt mit der Außenwelt kontrollierte, gelang es Tiflis, Moskau davon zu überzeugen, eine Blockade über Abchasien zu verhängen. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der Georgien und Tschetschenien damals angehörten, einigte sich darauf, keinen Handel mehr mit Abchasien zu betreiben. Abchasische Männer zwischen 16 und 65 Jahren durften zudem nicht die Grenze zu Russland übertreten. Eine Fährverbindung ins türkische Trabzon blieb der einzige Weg ins Ausland, der von der Blockade ausgenommen war – in der Türkei lebt ein großer Teil der abchasischen Diaspora. Die russische Seite kappte sogar die Telefonleitungen.

Die abchasischen Sympathien für Russland schwanden im Verlauf der 1990er Jahre. Wirtschaftlich lebte das Gebiet von der Subsistenzlandwirtschaft und dem Schmuggel von Schrott, der aus dem Abbau der Maschinen aus der Sowjetzeit gewonnen wurde. In der politischen Elite Abchasiens entwickelte sich in dieser Zeit ein besonderer Sinn für die Eigenständigkeit des Landes, woraufhin man in der Staatssymbolik auf sowjetische Anleihen zu verzichten begann.

Mit der russischen Eroberung Tschetscheniens zur Jahrtausendwende schwand Georgiens Einfluss in der Abchasienfrage. Russische Behörden hoben die Blockade gegenüber Abchasien schrittweise auf und erlaubten Abchasierinnen und Abchasiern, russische Pässe zu beantragen. Viele taten das auch, da sich der Bevölkerung der Region sonst wenige Reisemöglichkeiten boten. Der russische Einfluss blieb dennoch begrenzt: Als sich bei den Präsidentschaftswahlen 2004 ein Kandidat durchsetzte, der Moskau nicht genehm war, versuchten einflussreiche russische Kreise eine Art Farbrevolution zu starten, die letztendlich jedoch scheiterte.

Die zunehmende Öffnung zur Außenwelt nutzte auch die Europäische Union: Ab dem Ende der 1990er Jahre finanzierte die EU verschiedene Projekte in Abchasien. Binnen weniger Jahre stieg die EU somit zum größten Geldgeber der Republik auf. Auch der damalige Präsident Sergeij Bagapsch zeigte sich gegenüber einer »Europäisierung« offen und sagte in einem Interview im Jahr 2006, dass sein Land »in einem europäischen Haus leben« wolle. Doch zu einer weitergehenden Annäherung zwischen Abchasien und der EU kam es nicht.

Der nationalistische Neoliberale Micheil Saakaschwili befahl im August 2008 den Überfall auf die abtrünnige Region Südossetien. Die russische Armee schlug die georgische zurück und abchasische Truppen eroberten das Kodori-Tal, das einzige Gebiet der vormaligen abchasischen Sowjetrepublik unter der Kontrolle der georgischen Zentralregierung. Nach dem Ende der Feindseligkeiten erkannte Moskau die Unabhängigkeit Abchasiens an. Dieses Mal verhängte Georgien eine Blockade über das Gebiet und versucht seitdem auch seine westliche Partner davon zu überzeugen, selbiges zu tun.

Da man fortan mit einem abchasischen Pass nach Russland einreisen konnte, hörte Russland auf, Abchasierinnen und Abchasiern russische Pässe auszustellen. Das führte dazu, dass eine neue Generation abchasischer Politikerinnen und Politiker heranwuchs, die jenseits von der Region nur noch im Land des »großen Bruders« studieren konnte. Moskau hob die GUS-Blockade offiziell auf und leistet seit der Anerkennung finanzielle Hilfe für das Staatsbudget Abchasiens. Der russische Wirtschaftswissenschaftler Sergej Beljakow sagte 2016, es sei Russlands Hauptinteresse, eine sich selbst versorgende und eigendynamische Wirtschaft Abchasiens entstehen zu lassen, die für russische wirtschaftliche Initiativen empfänglich ist und sich hauptsächlich auf den russischen Markt ausrichtet. Dafür sorgt seit 2008 die Anerkennung der Unabhängigkeit, während in Georgien und dem Westen die Mär eines »russisch besetzten Gebiets« aufrechterhalten wird.

Trotz der Sicherheitsgarantien und der Budgethilfe aus Moskau versucht die politische Elite Abchasiens, den Kreml auf relativer Distanz zu halten. Als Präsident Bagapsch 2010 Caracas besuchte – auch Venezuela erkennt die Unabhängigkeit an –, bot er dem damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez an, dass der staatliche Erdölkonzern PdVSA in Abchasien ins Ölgeschäft einsteigen könne. Das war offensichtlich ein Versuch, die Abhängigkeit von Moskau zu verringern. Generell zeigen die dreizehneinhalb Jahre seit der russischen Anerkennung, dass die Abchasierinnen und Abchasier lieber auf Investitionen verzichten, anstatt sich zu sehr von Russland abhängig zu machen.

Seit dem Beginn der verschärften Konfrontation zwischen Russland und dem Westen im Jahr 2014 und der Schwäche des Rubels infolge der Sanktionen, Gegensanktionen und Wirtschaftskrise begann Abchasien, verstärkt mit dem Westen Handel zu betreiben. Mittlerweile ist die Türkei der zweitwichtigste abchasische Handelspartner; etwa ein Drittel der abchasischen Exporte gehen dorthin. Wichtigster EU-Handelspartner ist Italien, wo die Kaukasusrepublik seit 2016 ein Kulturinstitut und seit fünf Jahren auch eine inoffizielle diplomatische Vertretung unterhält.

Trotz der Nichtanerkennung pflegt Abchasien inoffizielle Beziehungen mit einer Reihe von Staaten. In vierzehn Nationen gibt es abchasische Vertretungsbüros – von Israel über Tunesien bis nach Deutschland. Beim Versenden diplomatischer Noten betont die Kaukasusrepublik auch stets ihre Eigenständigkeit und vier Fünftel aller diplomatischen Nachrichten gehen nicht nach Russland. In den vergangenen anderthalb Jahren besuchte der EU-Repräsentant für den Südkaukasus Abchasien mehrmals und erklärte, dass er die Etablierung von »Arbeitsbeziehungen« mit dem De-facto-Staat anstrebe. Trotz offizieller Blockade seitens des Westens interagiert er zunehmend mit Abchasien.

Blaupause für die Ukraine?

Die zwei Randgebiete des russischen Empires Abchasien und Transnistrien zeigen, dass Russland diesen beiden Regionen als politisches Zentrum dient und vor allem militärisch deren Unabhängigkeit sichert. Politisch und kulturell hat Moskau großen Einfluss in beiden Gebieten und die politischen Eliten sowohl Abchasiens und Transnistriens sind mit der Russlands eng verwoben. Mit Aljona Arschinowa sitzt eine Transnistrierin für die präsidententreue Partei Einiges Russland in der Duma. Der derzeitige abchasische Außenminister Inal Ardzinba hat den Großteil seines beruflichen Lebens bisher im russischen Außenamtsapparat gedient, unter anderem als rechte Hand des berüchtigten Kreml-Beraters Wladislaw Surkow.

In den vergangenen Jahren ist immer deutlicher geworden, dass Moskau mit seiner Abchasien- und Transnistrienpolitik das Ziel verfolgt, den NATO-Anschluss von deren Mutterländern Georgien und Moldau zu verhindern. Mit der Übernahme der Krim und der Schaffung der Donbass-Volksrepubliken versucht die russische Regierung, in der Ukraine eine ähnliche Situation zu replizieren.

Aus politökonomischer Perspektive ist dabei vor allem interessant, dass mit Abchasien und Transnistrien – aber auch den Donbass-Volksrepubliken, der Krim und Südossetien – eine Reihe von Gebieten entstanden sind, in denen westliche Organisationen, allen voran der IWF und die Weltbank, so gut wie keine Rolle spielen. Einerseits profitiert Russland davon – Abchasien beispielsweise ist das zweitbeliebteste Auslandsreiseziel der Russinnen und Russen. Andererseits zeigt der ansteigende Auslandshandel Abchasiens und Transnistriens mit dem Westen, dass Russland es nicht gelingt, selbst diese kleinen Gebiete ökonomisch zu dominieren. Doch trotz des bisherigen Misserfolgs ist nicht ausgeschlossen, dass Moskau versuchen wird, weitere solcher Enklaven – von Odessa bis Charkiw – zu schaffen.

Ungeachtet des besonderen russischen Einflusses zeigen der Außenhandel und – im Falle Abchasiens – die konkrete Außenpolitik der De-facto-Staaten, wie schwach das russische Empire in seiner Peripherie ist. Die EU und die Türkei nehmen zwei Drittel der transnistrischen und ein Drittel der abchasischen Exporte ab. Vor allem die Regierung in Suchum betont zu jeder sich bietenden Gelegenheit die Eigenständigkeit gegenüber Moskau. Wenn Russland es nicht einmal schafft, Abchasien und Transnistrien fest an sich zu binden, wird das im Falle der Ukraine – egal wie der aktuelle Ukraine-Krieg ausgehen wird – erst recht nicht möglich sein.

Erschienen auf: jacobin.de, 31.03.2022.

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