»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
English · Francais · | · RSS

David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Das Ende Russisch-Amerikas

Im Herbst 1867 wurde die US-Fahne über Alaska gehisst – mehr als 125 Jahre lang war das Land eine Kolonie des Zarenreichs gewesen

Am 15. Juli 1741 erreichte zum ersten Mal ein Europäer Alaska. Der russische Kapitän Alexej Tschirikow landete mit seinen Leuten auf dem heutigen Alexanderarchipel.¹ Trotz mangelnden Interesses der russischen Zentralregierung steuerten im Verlaufe des folgenden Jahrzehnts immer wieder russische Kaufleute Alaska an. Diese errichteten dann auch auf den dem Festland vorgelagerten Aleuten erste Handelsposten. Die im gleichen Jahr 1741 ins Amt gekommene Zarin Elisabeth verfügte, dass alle russischen Schiffe, die die Aleuten anfuhren, sogenannte Jasak-Eintreiber mit sich führen mussten. Jasak war eine Art Tribut, welcher von den Einheimischen auf den Aleuten, aber auch z. B. auf Kamtschatka und den Kurilen erhoben wurde. Als offizielle Begründung dienten die angeblichen Kosten für den »Schutz der Ureinwohner«. Ab dem August 1784 errichteten Siedler im Südosten der Insel Kodiak die erste russische Niederlassung in Alaska. Sie wurde gegründet, um die Stellung der russischen Händler gegenüber der internationalen Konkurrenz beim Pelzhandel zu verbessern. Auch die eng mit dem Zarenstaat verbandelte Geistlichkeit flankierte die Expansion: Die erste russisch-orthodoxe Mission erreichte Alaska im Jahr 1794. Fünf Jahre später fasste Zar Paul I. die drei Gesellschaften, welche den Pelzhandel in Russisch-Amerika betrieben, zu einer großen zusammen – diese trug den Namen Russisch-Amerikanische Kompagnie (RAK). Der Ausdehnung auf den amerikanischen Kontinent war damit ein kapitalistischer Rahmen analog zur britischen Expansion in Indien oder dem Rest Nordamerikas gegeben.

Nachdem bereits Ende des 18. Jahrhunderts die ersten britischen Händler in der Gegend aufgetaucht waren, errichteten die russischen Siedler das erste Fort des Zarenreiches in Russisch-Amerika. Es blieb jedoch zunächst friedlich zwischen den Kolonialmächten. Russische Unternehmer tauschten mit britischen und US-amerikanischen Waren aus. Die USA entwickelten sich damals schon – obwohl zu dieser Zeit lediglich am Atlantik gelegen – zu einer weltweit operierenden Seefahrernation.

Freundlich, aber bestimmt

Alexander Baranow, der als erster Hauptverwalter der Russisch-Amerikanischen Kompagnie die Frühphase der Kolonie entscheidend prägte, ordnete im Jahr 1800 an, dass der Ausbau von Fort Pawlowsk (der heutigen Stadt Kodiak) forciert werden müsse, da in Moskau ein Krieg mit Großbritannien befürchtet wurde. Tatsächlich beteiligte sich die russische Armee am Dritten Koalitionskrieg (1803–1806) in Europa, stand aber an der Seite Großbritanniens gegen Frankreich.

Parallel dazu hatte die RAK-Leitung festgelegt, nach Süden bis zum Nootka Sound in der Nähe des heutigen Vancouver zu expandieren. Die britisch-russische Grenze sollte danach in etwa zwischen dem 50. und dem 55. Breitengrad liegen. Um diesen Machtanspruch zu untermauern, bedurfte es in Höhe des 55. Breitengrads einer größeren russischen Siedlung. Diese entstand unter dem Namen Nowo-Archangelsk im Jahr 1804 auf der Insel Sitka. Die folgenden Jahre sollte der russische Umgang mit den Briten in der Region »freundlich, aber bestimmt« erfolgen.

Nachdem Angehörige des nordamerikanischen indigenen Volks der Tlingit zunächst Nowo-Archangelsk vernichtet hatten – die britische Rolle in der Affäre ist unter Historikern umstritten –, ließ Kompagniechef Baranow, auch genannt der »Zar Alaskas«, das Gebiet zurückerobern und die Siedlung wiedererrichten. Ab 1808 diente die neue Stadt als Verwaltungssitz der RAK und somit als Hauptstadt Alaskas. Parallel dazu schritt die Befestigung der russischen Inselkette – mehr war das Kolonialgebiet bis dahin nicht – weiter voran, und in dem Gebiet von den Aleuten bis nach Sitka baute die Kolonialgesellschaft insgesamt 13 Forts.²

Um der Übermacht der heranrückenden britischen Hudson’s Bay Company (HBC) etwas entgegenzusetzen, setzten die russischen Politiker auf die USA. Bereits im Jahr 1803 trafen die ersten US-Handelsschiffe in Kodiak ein, und die »Bostonians« – wie sie russischerseits genannt wurden – stimmten zu, den Handel mit Russisch-Alaska auf eine regelmäßige Basis zu stellen. Es gab im gleichen Jahr sogar eine gemeinsame Expedition von US-Händlern mit Schiffen der RAK.³ Ebenfalls 1803 entsandte US-Präsident Thomas Jefferson den ersten Konsul nach St. Petersburg, und vier Jahre später einigten sich Abgesandte beider Länder auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Nowo-Archangelsk wiederum gedieh – wenn auch auf wackeliger Grundlage. Der Reichtum der wenigen Händler brachte der Stadt den Namen »Paris des Pazifiks« ein. Trotz alledem blieb die Versorgungslage der einfachen Einwohner schlecht, und die Kolonialpolitiker forcierten deswegen den Handel mit den »Bostonians«. Deren Händler sahen Profitmöglichkeiten darin, ihre eigenen Produkte zu exportieren und im Gegenzug die besten Pelze der Welt einkaufen zu können. Darüber hinaus band die RAK-Führung US-amerikanische Schiffe in den Handel zwischen Alaska und China ein.

Mit Astoria im heutigen US-Bundesstaat Oregon grenzten damals die Einflussgebiete der USA und Russlands kurzzeitig auch aneinander. Die Lewis-und-Clark-Expedition – von US-Präsident Jefferson befohlen – hatte im November 1805 an der Mündung des Flusses Columbia die Pazifikküste erreicht. Im Jahr 1809 strebte der Pelzhändler John Astor an, den Handel mit Russisch-Amerika und China auszubauen, und gründete deswegen einen US-Stützpunkt an der Westküste Amerikas. Astor benannte den Stützpunkt nach sich selbst und versuchte sein bereits lukratives Pelzgeschäft auszubauen. Im von den US-Amerikanern vom Zaun gebrochenen Krieg von 1812 jedoch nahmen britische Soldaten Astoria im Handstreich ein, und die in Washington geplante Entsendung eines US-Kriegsschiffes zur Verteidigung der Siedlung erübrigte sich schnell.

Wenige Jahre zuvor hatte eine Expedition der britischen North West Company (NWC) – eines Konkurrenten der Hudson’s Bay Company – das Gebiet des heutigen Vancouver erreicht. 1821 zwangsfusionierte die Londoner Regierung nach erbitterter Konkurrenz die beiden britisch-kanadischen Firmen. Die neue HBC, welche große Teile des nordamerikanischen Kontinents beanspruchte, hatte ihren Verwaltungssitz fortan in Fort Vancouver.

Expansion nach Süden

Um die Versorgungslage der russischen Kolonien in Amerika zu verbessern, beschloss 1808 Gouverneur Baranow, eine Expedition bis an die Nordgrenze Spanisch-Mexikos durchführen zu lassen. Dort sollte ein Stützpunkt errichtet werden, um mit den Spaniern Handel zu treiben. Bis dahin war es den Spaniern in Mexiko untersagt, mit anderen Ländern zu handeln, weswegen Franziskanermönche den Schmuggel mit Schiffen organisierten, die in den Buchten Kaliforniens versteckt lagen. Die spanischen Besitzungen erstreckten sich damals lediglich bis zur Bucht von San Francisco. 1811 entsandte die RAK ein Schiff, um ein Fort im Gebiet des heutigen Nordkaliforniens zu errichten. In der Bodega-Bucht nördlich des Mündungsgebietes des Sacramento-Flusses geschah dies dann ein Jahr später. Die russischen Siedler begannen mit der Landwirtschaft und Viehzucht – Russen errichteten die erste Mühle in Kalifornien, die bis heute steht. Schließlich waren die Bodega Bay und das 30 Kilometer nördlich errichtete Fort Ross der einzige Teil des Einflussgebiets der Russisch-Amerikanischen Kompagnie südlich der Anbaugrenze von Getreide. Darüber hinaus sollte die Expedition ausloten, was die spanisch-mexikanischen Behörden von einer russischen Präsenz in Nordkalifornien halten würden. Genötigt durch den Unabhängigkeitskampf der lateinamerikanischen Völker, nicht noch weitere Konflikte anzuheizen, einigte sich die spanische Regierung mit der russischen inoffiziell, dass die RAK Fort Ross behalten dürfe. Trotz alledem gestalteten sich die russisch-spanischen Beziehungen in Kalifornien nicht einfach. Die Kolonialherren investierten viel Zeit und Energie in die Festigung und den Ausbau dieses Stützpunktes. Es entstand ein größeres Dorf mit bis zu 400 Einwohnern – darunter finnische, russische und schwedische Kolonisatoren ebenso wie Indigene Alaskas und Kaliforniens sowie sogar Hawaiianer. Doch die Entwicklung von Ross lief nicht wie geplant. Die Expansion ging nur schleppend voran. Trotz Handels mit vor allem US-amerikanischen und britischen Schiffen entwickelte sich die Kleinkolonie nicht wie erhofft. Baranow ließ teilweise sogar die Betriebe in Nowo-Archangelsk auf die Nachfrage der Spanier bei Fort Ross ausrichten. So wurden auf Sitka Glocken gegossen, die für die katholischen Kirchen in Mexiko bestimmt waren. Obwohl oft als Pelzhandelsstützpunkt bezeichnet, erstreckte sich der Handel dieser Kolonie auf viele weitere Bereiche. Aber die Entwicklung schritt nicht voran wie vorgesehen, und Baranow konzentrierte sich fortan auf Hawaii.

Dorthin hatte – genau wie in andere Gebiete des Pazifiks – die RAK diverse Expeditionen entsandt. Im Jahr 1804 erreichten zum ersten Mal russische Schiffe Inselgruppe. Die wichtigsten Entdeckungsfahrten des Zarenreiches im Pazifik im ersten Viertel des gesamten 19. Jahrhunderts stoppten fast alle einmal auf den abgelegenen Vulkaninseln im nördlichen Pazifik. Sie sollten nach den Vorstellungen der RAK-Leitung als Zwischenstationen beim interkontinentalen Handel zwischen Ostasien und der Westküste Amerikas dienen. Zu dieser Zeit hatten die damals Sandwichinseln genannten Eilande bereits eine wichtige Rolle als Handelspunkt zwischen China und dem amerikanischen Kontinent. Die »Bostonians« dominierten im damals unabhängigen Königreich Hawaii den Handel.

Auch Baranow wollte gute Beziehungen zwischen der Russisch-Amerikanischen Kompagnie und dem Inselreich etablieren. Ein entsandtes Schiff ging 1815 auf der nördlichen Insel Kaua’i auf Grund. In einer vom RAK-Chef nicht sanktionierten Aktion arrangierte sich der in russischen Diensten stehende bayrische Arzt und Abenteurer Georg Anton Schäffer mit dem Oberhaupt eben jener Insel und unterzeichnete einen Vertrag, durch welchen das Eiland an Russland fiel. Seine Soldaten errichteten ein Fort und hissten die russische Flagge. Schäffer verlangte daraufhin Unterstützung aus dem Mutterland. Seine Briefe blieben jedoch unbeantwortet. Ende 1816 erreichte ein russisches Schiff die hawaiianische Hauptinsel und beendete das Abenteuer. Die verbliebenen Russen und Alëuten auf Kaua’i wurden ausgewiesen. Fort Elizabeth übernahmen die hawaiianischen Truppen.

Nach dieser turbulenten Phase folgte eine weitere Stabilisierung der Kolonie. Während Baranows Karriere als Gouverneur wegen der »Schäffer-Affäre« endete, verbesserten sich die Beziehungen zwischen Russland und den USA. In der Konvention von 1824 erkannte die US-Regierung die Südgrenze Russisch-Alaskas an. 1832 folgte der erste Handelsvertrag. Die folgenden Jahrzehnte wurden die Beziehungen zwischen beiden Ländern immer weiter ausgebaut. Innenpolitisch setzte der Nachfolger Baranows, der baltendeutsche Gouverneur Ferdinand von Wrangel, während seiner Amtszeit von 1829 bis 1835 auf eine Verbesserung der Beziehungen zu dem indigenen Volk der Tlingit im Süden der Kolonie. Diese sollten sich aber bis zum Ende Russisch-Alaskas nie als Untertanen Russlands sehen.

Während sich das Verhältnis zwischen der RAK und den USA sowie einigen indigenen Völkern verbesserte, erreichten die Beziehungen zur Hudson-Bay-Kompagnie den Tiefpunkt. Mitte der 1830er stritten sich die Kolonialgesellschaften um Inseln im heutigen Westkanada. Mit Hilfe diverser Konventionen legten beide Seiten 1839 den Streit bei. Russisch-Alaska trat einen Teil des Gebiets ab, und dafür versorgte die britisch-kanadische Seite die RAK mit Pelzen und Proviant – vor allem Mehl, Speiseöl und gesalzenem Fleisch. Die konstant schlechte Versorgungslage der Zarenkolonie verbesserte sich daraufhin nachhaltig. Der Bedarf für den Stützpunkt in Kalifornien fiel hingegen weg, und die RAK verkaufte 1841 Fort Ross an einen Mexikaner. Kurz danach fiel das Fort im Rahmen des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges (1846–1848) an die USA; darüber hinaus wurde in der Gegend auch noch Gold gefunden.

Gute Kooperation

Kurz nach Beginn des Krimkriegs im Jahre 1853 wandte sich die RAK-Führung an die Leitung der Hudson-Bay-Kompagnie, um eine Neutralität in Nordamerika zu erreichen. Das britische Außenministerium stimmte zu, und während Russland in Südosteuropa gegen Frankreich, Großbritannien und das Osmanische Reich Krieg führte, blieb Alaska verschont. Doch während das Einflussgebiet der Russisch-Amerikanischen Kompagnie unangetastet blieb, bombardierte ein britisch-französisches Expeditionskorps Petropawlowsk auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka. Die russischen Truppen konnten die Alliierten zurückschlagen. Der vom Generalgouverneur von Ostsibirien Nikolai Murawjow-Amurski politisch forcierte Ausbau der Festung zahlte sich aus. Ebenso die guten Beziehungen nach Washington: Die US-Regierung ließ russische Schiffe unter der Flagge der neutralen USA segeln, damit Ostsibirien weiter Handel mit den Pazifikgebieten treiben konnte. Murawjow-Amurski, dessen Konterfei heutzutage auf den 5.000-Rubel-Banknoten zu finden ist, hatte bereits 1853 in einem Memorandum an den Zaren gefordert, dass in Zukunft die russischen Beziehungen zu den USA auszubauen seien, da die US-Amerikaner eine Konkurrenz zu den Briten im Nordpazifik sein könnten. Die Entwicklung lief genau in diese Richtung.

Unter Wrangels Nachfolgern trieb die Russisch-Amerikanische Kompagnie die Expansion ins Landesinnere Alaskas voran. In den 1850er Jahren dehnte die RAK die Kohleförderung in Alaska aus. Parallel dazu fiel der Preis für die bis dahin kommerziell wichtigen Tierfelle, und die Kompagnie wurde unprofitabel. Auch die verstärkte Ressourcenausbeutung änderte nichts daran, dass Russisch-Amerika hauptsächlich eine teuer zu unterhaltende Inselkette mit einigen wenigen Buchten war. Das Gebiet blieb dünn besiedelt und wäre im Ernstfall schwer zu verteidigen gewesen.
Nachdem 1858 bis 1860 Russisch-Sibirien entlang des Amurs ausgedehnt worden war, träumten russische Kolonialenthusiasten vom neuen russisch-chinesischen Grenzfluss als dem »russischen Mississippi«. Parallel zur Expansion in Fernost diskutierten russische Kolonialbeamte, Ministeriumsmitarbeiter, Politiker und Militärs den Verkauf von Russisch-Amerika. Als Käufer kamen vor allem die USA in Frage. Doch der US-Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 setzte diesen Überlegungen erst einmal ein Ende. Während in London und Paris Politiker mit dem Gedanken spielten, die Konföderierten Staaten anzuerkennen, entsandte der Zar eine russische Flotte nach New York und stärkte den Nordstaaten somit demonstrativ den Rücken. Damit begründeten beide Seiten informell eine militärische Allianz.

Während die USA im Bürgerkrieg versanken, schwächte der Januaraufstand 1863/1864 die russische Herrschaft über Kongresspolen. In Moskau befürchteten Politiker und Militärs ein Eingreifen der Briten und Franzosen. Ein mögliches Ziel: Alaska. Um das Risiko der militärisch nicht zu haltenden britisch-russischen Grenze zwischen Alaska und Kanada loszuwerden, entschied sich die russische Regierung, das Gebiet zu verkaufen. Nachdem die Nordstaaten der USA aus dem Bürgerkrieg siegreich hervorgegangen waren, kam Washington wieder als potentieller Käufer infrage.

Verkaufsverhandlungen

Zar Alexander II. wies den russischen Botschafter in Washington an, mit der US-Regierung über den Verkauf von Alaska zu verhandeln. Der russische Monarch wollte nach dem Krimkrieg, der 1856 in einem Patt geendet hatte, das Land modernisieren und benötigte für seine »Großen Reformen« erhebliche finanzielle Ressourcen. Im März 1867 einigten sich die Unterhändler in Washington auf einen Kaufpreis von 7,2 Millionen US-Dollar (heute in etwa 123 Millionen US-Dollar). Am 18. Oktober landeten US-amerikanische Soldaten in Nowo-Archangelsk und hielten eine gemeinsame Parade mit den russischen Soldaten ab. Daraufhin wurde die russische Fahne über der Stadt eingeholt und das US-Sternenbanner gehisst.

Für die Russen besonders pikant: Ab den 1880er Jahren erlebte Alaska einen Goldboom. Die folgenden Jahrzehnte kühlten die Beziehungen zwischen den USA und Russland immer weiter ab und erreichten den Stand einer »kalten Gleichgültigkeit«. Die aggressive US-Expansion im Pazifik sowie die Europapolitik der US-Regierungen führten zu einer immer größer werdenden Distanz zwischen beiden Ländern.

Nationalistische Kreise in Russland und die kurzerhand enteigneten Anteilseigner der RAK nahmen den Verkauf Alaskas mehrheitlich negativ auf. Bis in die heutige Zeit gilt der Verkauf Alaskas unter rechten Vordenkern und national gesinnten Intellektuellen als offene Wunde. Der damalige Dekan der Fakultät für internationale Beziehungen der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums, Igor Panarin, forderte in einem Interview für die Iswestija im Jahr 2008, dass im Falle einer Auflösung der USA Russland Alaska »zurückverlangen« könne.

Trotz seiner Größe blieb Russisch-Amerika bis zuletzt eine kleine Kolonie des Zarenreiches. Das Gebiet umfasste lediglich sechs Prozent der Landmasse des Russischen Reiches, und im Jahr des Verkaufs von Alaska an die USA hatte Russisch-Alaska lediglich 600 bis 800 russische Einwohner, hinzu kamen 1.900 Kreolen. Die russischen Überbleibsel der früheren Kolonialgeschichte sind minimal. Lediglich einige geographische Bezeichnungen erinnern an die Zeit zwischen 1741 und 1867. Prägender war der Einfluss der russischen Missionare: Heutzutage sind circa fünf Prozent der Einwohner Alaskas, hauptsächlich Angehörige der indigenen Völker, Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche.

Anmerkungen:

1 Claus-M. Naske/Herman E. Slotnick: Alaska. A History of the 49th State, Norman 1994, S. 27

2 Peter Littke: Vom Zarenadler zum Sternenbanner. Die Geschichte Russisch-Alaskas, Essen 2003, S. 88–135

3 Aleksandr Petrov/Aleksei N. Ermolaev: The Sale of Fort Ross, Russia’s Colony in California. In: Russian Studies in History, Jg. 54 (2015), Nr. 1, S. 36–60; hier: S. 38

4 Nikolay Bolkhovitinov: The Adventures of Doctor Schaffer in Hawaii, 1815–1819, Honolulu 1973, S. 57–60

5 Lydia Black: Russians in Alaska 1732–1867, Fairbanks 2004, S. 200f.

6 Nikolay Bolkhovitinov: The Crimean War and the Emergence of Proposals for the Sale of Russian America 1853–1861. In: The Pacific Historical Review, Jg. 59 (1990), Nr. 1, S. 15–49

7 John L. Gaddis: Russia, the Soviet Union, and the United States. An Interpretive History, New York 1990, S. 52

8 Andrei A. Znamenski: History with an Attitude: Alaska in Modern Russian Patriotic Rhetoric. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Jg. 57 (2009), Nr. 3, S. 346–373

Erschienen in: junge Welt, 25.10.2017.

Leave a Reply

Neueste Kommentare