»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Noch näher an China

Deutsche Nordkorea-Experten spekulieren über eine Öffnung Pjöngjangs gegenüber dem Westen. Die Tage der nordkoreanischen Regierung seien „gezählt“, urteilt der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium und langjährige Korea-Aktivist Hartmut Koschyk (CSU). Auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung will in Pjöngjang erfahren haben, die Demokratische Volksrepublik Korea verfolge die Strategie, sich „zu öffnen“. Die Spekulationen erfolgen zu einer Zeit, da in Nordkorea ein umfassender Generationswechsel im Gange ist, der die höchste Staatsspitze einschließt und Personen mit teilweise engen Kontakten in westliche Länder in einflussreiche Positionen bringt. Berlin begleitet die Öffnungstendenzen in Pjöngjang mit anhaltenden Bemühungen, Nord- und Südkorea zusammenzuschließen – nach dem Vorbild der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik. Die Bemühungen richten sich auch gegen China. Wie ein Experte für auswärtige Politik aus Shanghai erläutert, besitzt Nordkorea als Pufferstaat zwischen den in Südkorea stationierten US-Einheiten und China eine herausragende Bedeutung und bindet mit seinem Militärpotenzial amerikanische Truppen. Sollten sich Nord- und Südkorea zusammenschließen, gewänne Washington größeren militärischen Spielraum gegenüber Beijing.

„Die Tage sind gezählt“
Deutsche Nordkorea-Experten spekulieren über eine Öffnung Pjöngjangs gegenüber dem Westen. „Die Tage des Regimes in Nordkorea sind gezählt“, urteilt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Hartmut Koschyk (CSU).[1] Koschyk stand über Jahre hin der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe vor und hat sich dabei stets auch mit den Entwicklungen in der Demokratischen Volksrepublik Korea befasst – sowie mit Möglichkeiten, das Land westlicher Einflussnahme zu erschließen.[2] Sollte es zu engerer Kooperation Pjöngjangs mit dem Westen kommen, ergäben sich auch für Deutschland „neue Gestaltungsmöglichkeiten“, erklärte Koschyk bereits vor einigen Jahren. Die Bundesrepublik genieße in Nordkorea durchaus „einen sehr guten Ruf“. Bei der angestrebten Zusammenarbeit mit dem Land habe Berlin allerdings auf die inneren Verhältnisse Rücksicht zu nehmen und dürfe keinesfalls das nordkoreanische Militär „links liegen lassen“.[3]

Zugang in Pjöngjang
Chancen für eine „Öffnung“ in Pjöngjang will auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung erkannt haben. Die Stiftung unterhält ein Büro in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul und führt von dort aus seit dem Jahr 2002 ein Kooperationsprogramm mit Nordkorea durch – darunter nicht nur Veranstaltungen, die in Pjöngjang stattfinden, sondern auch Seminare in Deutschland. Der für Korea zuständige Stiftungsrepräsentant Walter Klitz gilt nicht nur in Seoul als eine „von wenigen Persönlichkeiten der internationalen Beziehungen, denen auch die DVR Korea Zugang gewährt“. Über ihn heißt es, er unterhalte durchaus „verlässliche Arbeitsbeziehungen mit nordkoreanischen Entscheidungsträgern“.[4] Als Klitz sich Ende April in Pjöngjang aufhielt, urteilte ein Funktionär der Regierungspartei im Gespräch mit ihm, der Sozialismus könne „nicht in Isolation überleben“. Daher folge Nordkorea einer „Strategie, sich gegenüber der Welt zu öffnen“.[5]

Auslandskontakte
Beobachter bringen eine mögliche Öffnung Nordkoreas mit dem Generationswechsel in Pjöngjang in Verbindung, der gegenwärtig im Gange ist und die höchste Staatsspitze einschließt. Man müsse abwarten, welche Rolle die nachrückende junge Generation „in der Politik des Landes wird spielen können“, erklärt Klitz. Der Experte verweist darauf, dass sie „meist über Auslandskontakte verfügt oder sich sogar längere Zeit im Ausland aufgehalten hat“. Als Beispiel gilt der mutmaßlich nächste nordkoreanische Staatschef Kim Jong-Un, der mehrere Jahre lang im deutschsprachigen Teil der Schweiz zur Schule ging und daher sogar Deutsch spricht. Seine Generation „verdient verstärkte Aufmerksamkeit“, urteilt Klitz.[6]

Anschluss in Deutschland
Als exemplarisch für eine bereits im Gang befindliche ökonomische Öffnung des Landes gilt Beobachtern der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Brasilien. Brasilien ist mittlerweile nach den Nachbarstaaten China und Südkorea der drittgrößte Handelspartner Pjöngjangs. Es steht im Verdacht, auf der Grundlage bundesdeutscher Zuarbeit Atombomben zu entwickeln [7], weshalb Kritiker schon über eine Nuklearkooperation zwischen Nordkorea und Brasilien spekulieren [8]. Auch Deutschland ist bereits in die sich anbahnende internationale Zusammenarbeit Nordkoreas einbezogen. Der Anschluss des Landes an das Internet, der im Februar 2004 in Betrieb genommen wurde, ist von einer deutschen Firma aufgebaut worden. Wie Firmenchef Jan Holtermann schreibt, erhielt er für die notwendige Sicherheits- und Filtertechnologie keine Exportgenehmigung, „da sie unter Umständen auch militärisch genutzt werden kann“. Daher stehe der „Hauptserver mit seinen Verschlüsselungssystemen“ in Deutschland. „Dort können die Nordkoreaner ihre Inhalte lagern“, teilt Holtermann mit. In Pjöngjang befinde sich lediglich „ein sogenannter Proxy, der die Webinhalte entsprechend den Wünschen der Koreaner im Land verfügbar macht“.[9]

Übernahmeexperten
Angesichts der Spekulationen über eine Öffnung Pjöngjangs gegenüber dem Westen und über den Ausbau der ökonomischen Kooperation gewinnen die Bemühungen Berlins um eine Vereinigung Nord- und Südkoreas neues Gewicht. Schon lange treten deutsche Politiker in Seoul als Experten für eine „Wiedervereinigung“ der zwei Staaten auf; so unterhielt die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) zeitweise ein „Projekt Koreanische Wiedervereinigung“, das sie „auf der Grundlage der deutschen Erfahrung“ durchführte.[10] Der erhoffte Zusammenschluss der beiden Länder gehört bereits seit Jahren zu den Gegenständen, die bei deutsch-südkoreanischen Treffen eine wichtige Rolle spielen. Letzte Woche beispielsweise hielt sich der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) in Südkorea auf – und konferierte in Seoul unter anderem mit dem Minister für Wiedervereinigung. Basis sind stets die Erfahrungen mit der Übernahme der DDR durch die BRD.

Strategische Pufferzone
Erhebliche Bedenken rufen die deutschen Aktivitäten vor allem in Beijing hervor. Wie Shen Dingli, Direktor des Institute of International Studies an der Fudan-Universität in Shanghai, erklärt, hat die Volksrepublik China großes Interesse an staatlicher Integrität und Souveränität der Demokratischen Volksrepublik Korea. In Südkorea sind derzeit rund 28.500 US-amerikanische Soldaten stationiert – so nah an China wie sonst nirgends. Nordkorea dient China laut Shen als „strategische Pufferzone“, um Washingtons Truppen auf Abstand zu halten. Pjöngjangs nukleare Aufrüstung binde ebenfalls US-Militärs in Südkorea und halte die Vereinigten Staaten von umfangreicheren Aktivitäten etwa auf Taiwan ab. „Das ist Nordkoreas ‚Beitrag‘ zu Chinas nationaler Sicherheit“, erläutert Shen. Die Volksrepublik rechnet hingegen mit Schwierigkeiten, falls Pjöngjang die Seiten wechselt, „einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet, Atomwaffen gegen Freundschaft tauscht und damit in die Fußstapfen Libyens tritt“: In diesem Fall gewönne Washington weitere militärische Spielräume, die es gegen Beijing nutzen könne. Dies gelte auch, sollten Nord- und Südkorea sich nach deutschem Modell zusammenschließen. Selbst die Errichtung von US-Militärbasen direkt an der koreanisch-chinesischen Grenze sei dann nicht länger auszuschließen.[11]

Gegen Beijing
Shens Erwägungen offenbaren die langfristigen strategischen Implikationen der deutschen Bemühungen um einen Zusammenschluss Nord- und Südkoreas. Diese richten sich gegen Beijing und sind Teil der Vorbereitungen für künftige Auseinandersetzungen mit der Volksrepublik China.

[1] Korea weist zahlreiche Parallelen zur deutschen Teilung auf; www.koschyk.de 25.06.2010
[2] s. dazu Deutschland „neutraler Boden“ für Verhandlungen zwischen Süd- und Nordkorea und Nordostasien-KSZE
[3] Hartmut Koschyk: Berlin wird in Pjöngjang gehört. Neue Gestaltungsmöglichkeiten für Deutschland und die EU?, in: Christoph Moeskes (Hg.): Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, Berlin 2007
[4] Korea: Klitz erhält Auszeichnung der Hanyang-Universität; www.freiheit.org
[5] Generational Change on all levels in North Korea on the way; www.fnfkorea.org 30.04.2010
[6] Operation Kim Jong-un; Die Welt 16.09.2010
[7] s. dazu Die brasilianische Bombe
[8] Bertil Lintner: Brazil, North Korea: Brothers in trade; Asia Times 03.06.2010
[9] Jan Holtermann: Sie hätten Post! Das nordkoreanische Internet, in: Christoph Moeskes (Hg.): Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, Berlin 2007
[10] s. dazu Projekt Koreanische Wiedervereinigung
[11] Shen Dingli: North Korea’s Strategic Significance to China; China Security, Autumn 2006

german-foreign-policy.com, 20. Oktober 2010

Ergänzung: Aktuell (Frühjahr 2011) scheint es so, als sei der Auftrag an die deutsche Internetfirma nicht mehr gültig – stattdessen soll eine thailändische Firma den Auftrag übernommen haben. Unbestätigte Gerüchte besagen, dass KCC Büros in der VR China, Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterhält.

3 Responses to “Noch näher an China”

  1. Sie erwähnen die Wirtschaftskooperation Deutschlands mit Nordkorea und geben dazu das Beispiel des Internetaufbaus, welches von Jan Holtermann aus Berlin in Angriff genommen wurde. Holtermann hatte die kühne IT-Vision, aus den „Nordkoreanern die Inder von morgen“ zu machen. Leider hat das nicht geklappt – jetzt ist ein thailändischer Konzern am Drücker (siehe http://nordkoreainfo.wordpress.com/2010/10/01/wo-ist-denn-naenara-hin/)

  2. Hallo Meyer,
    das wusste ich nicht – das werde ich sofort ergänzen. Haben sie dazu mehr Infos? Warum wurde die Kooperation mit den Deutschen abgebrochen?

    Gruß,

    David

  3. Beim Amtsgericht Charlottenburg anrufen und fragen, ob ein Insolvenzverfahren läuft oder gleich zur Firma KCC Europe GmbH hinfahren und herausfinden, ob es sie noch gibt. Die nötigen Infos für das Amtsgericht oder die Adresse für den Besuch vor Ort finden sich auf dem kärglichen Rest, der von der Website Jan Holtermanns noch übriggeblieben ist: http://www.kcc-europe.de/

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