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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Das Ende der Neutralität IV

Die Schweiz bereitet ihre Teilnahme an der EU-Piratenbekämpfung vor der Küste Somalias unter deutschem Kommando vor. Wie die Regierung des Landes berichtet, will sie insgesamt 30 Angehörige einer Spezialeinheit einem deutschen Kontingent am Horn von Afrika unterstellen. Dies sei nötig, da die EU „Personal“ für die Militäroperation verlange. Mit dem Beschluss, der im Parlament noch auf Widerstand stößt, bricht die Regierung in Bern zum wiederholten Male die Schweizer Neutralität, um an der Seite des Westens militärisch zu intervenieren. Die Anbindung des einst nicht paktgebundenen Staates an die westlichen Kriegsbündnisse wird bereits seit den 1990er Jahren kontinuierlich vorbereitet und von rüstungsindustriellen Kooperationen zwischen der Schweiz und Deutschland begleitet. Kriegsgerät aus der Schweiz wird von der Bundeswehr in Afghanistan genutzt; das Schweizer Spezialkommando, das Berichten zufolge in Ostafrika schon seit Wochen mit deutschen Soldaten trainieren soll, nutzt deutsche Waffen.

Substanzieller Beitrag

Die Regierung der Schweiz bereitet die Teilnahme des Landes an der EU-Piratenbekämpfung vor Somalia vor. In den letzten Tagen haben mehrere Parlamentsausschüsse die dazu nötigen Beschlüsse gefasst und stützen entsprechende Regierungspläne. Bern will 30 Soldaten in ein deutsches Truppenkontingent integrieren und sie damit deutschem Befehl unterstellen. Weil die Intervention bis heute äußerst umstritten ist, war in Bern diskutiert worden, nur unbewaffnete Soldaten zu entsenden. Dies werde jedoch von Brüssel nicht als „substanzielle(r) Beitrag“ anerkannt, teilt ein Sprecher des Schweizer Außenministeriums mit.[1] Wie es in Medienberichten heißt, sollen deshalb bewaffnete Berufsmilitärs aus dem Armee-Aufklärungsdetachement 10 nach Somalia entsandt werden. Bei diesem handelt es sich um eine Sondereinheit ähnlich dem deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK). Zusätzlich will die Schweiz der EU einen Arzt, zwei Pflegepersonen, vier Stabsoffiziere und drei Völkerrechtsspezialisten zur Verfügung stellen. Angeblich seien die Soldaten schon im Sommer einsatzbereit.

Unter deutschem Kommando

Mit dem bevorstehenden Einsatz, der allenfalls noch durch das Parlament gestoppt werden könnte, setzt die seit Jahrhunderten stets neutrale Schweiz ihre Annäherung an die westlichen Militärbündnisse fort – ein historischer Prozess, der bereits zu Beginn der 1990er Jahre in die Wege geleitet wurde. Schon kurz nach dem Beitritt zum NATO-Programm „Partnership for Peace“ im Jahr 1996 hatte Bern die ersten Soldaten ins Ausland geschickt – nach Bosnien-Herzegowina, wo sie an der Seite der westlichen Besatzungstruppen tätig waren. 2003 begannen weitere gemeinsame Interventionen mit dem Westen in Bosnien und Mazedonien, diesmal jedoch nicht mit unbewaffnetem, sondern mit (offiziell zum Selbstschutz) bewaffnetem Personal. Bereits 1999 hatte die Schweiz im Rahmen der NATO-Okkupation Soldaten in das Kosovo entsandt; sie sind dort bis heute stationiert, laut offiziellen Angaben „unter der Verantwortung der deutschen Bundeswehr im Großraum Prizren“.[2] Auch in Afghanistan unterhielt die Schweiz einige Verbindungsoffiziere beim deutschen PRT in Kunduz, bis sie im März 2008 wegen der eskalierenden Aufstandsbekämpfung abgezogen wurden (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Die Neutralität der Schweiz ist, seit das Land mit der Bundeswehr militärisch interveniert, nur noch auf dem Papier vorhanden.

Schweizer Rüstungstechnik bei der Bundeswehr

Parallel zur Nutzung der Schweizer Armee für die deutschen Auslandsoperationen schreitet die Verzahnung der Schweizer Rüstungsindustrie mit Waffenschmieden aus Deutschland und anderen NATO-Staaten voran. Für die Besatzungstätigkeiten der Bundeswehr lieferte die Schweiz etwa das Mehrzweckfahrzeug Duro 3 nach Deutschland, das in den Kriegsgebieten, in denen die deutsche Armee im Einsatz ist, ungepanzerte Fahrzeuge ersetzt. Duro 3 wurde von der Schweizer Bucher-Guyer AG entwickelt und später von Rheinmetall übernommen. Die schweizerische Firma MOWAG, die 2003 von dem amerikanischen Konsortium General Dynamics aufgekauft wurde, entwickelte den Stryker, einen Radpanzer, der binnen 96 Stunden an jeden Ort der Erde verlegt werden kann. Sieben Brigaden der US Army werden mittlerweile zu Stryker-Brigaden umgewandelt. Die Einheiten stellen einen von drei Kampfbrigadetypen der United States Army dar und wurden im Zuge der Transformation der Armee zu einer global schnell agierenden Interventionsstreitmacht geschaffen. Diverse Stryker-Brigaden waren bereits im Irak im Einsatz, eine erste Brigade des Typs wird diesen Sommer nach Afghanistan verlegt. Ebenfalls von General Dynamics European Land Systems/MOWAG ist das Fahrzeug Eagle IV (Adler) entwickelt worden. Es wird sowohl in der Schweiz (Kreuzlingen) als auch in Deutschland (Kaiserslautern) produziert. Die Bundeswehr setzt den Eagle IV seit Mai dieses Jahres als Aufklärungs- und Führungsfahrzeug in Afghanistan ein.

Deutsche Rüstungstechnik in der Schweiz

Umgekehrt statten auch deutsche Rüstungskonzerne die Schweizer Armee mit Kriegsgerät aus. So nutzen die Streitkräfte des nur auf dem Papier noch neutralen Staates unter anderem den G-Klasse-Geländewagen und den Unimog von Mercedes-Benz. Ihnen stehen darüber hinaus die Panzerfaust 3, die von der Dynamit Nobel AG (Troisdorf in Nordrhein-Westfalen) entwickelt wurde, das Maschinengewehr 3 von Rheinmetall und die semi-automatische Pistole SIG P220, die in Eckernförde (Schleswig-Holstein) produziert wird, zur Verfügung. Auch die Sondereinheit, das Armee-Aufklärungsdetachement 10 (AAD 10), bedient sich deutscher Technik: Es ist – wie sein deutsches Pendant, das Kommando Spezialkräfte (KSK) – mit dem Aufklärungs- und Gefechtsfahrzeug Serval (Rheinmetall) und der Maschinenpistole MP5 (Heckler und Koch) ausgestattet.

Los Rambolinos

Das AAD 10 ist eine noch junge Einheit der Schweizer Armee. Die Regierung hat ihre Gründung im Jahr 2001 im Rahmen der Annäherung an die westlichen Kriegsbündnisse beschlossen. Zu ihrem Auftrag gehören ähnlich wie beim deutschen KSK der „Schutz von Truppen, Personen und Einrichtungen bei erhöhter Gefährdungslage“ und „Rückführung von Schweizer Bürgern aus Krisenlagen im Ausland“ sowie „offensive Aktionen im Rahmen der Raumsicherung und Verteidigung“. In der Schweizer Presse wurde das AAD 10 als „kleine feine Geheimarmee“ eingestuft, die „neutralitätsrechtlich und -politisch mehr als delikat“ zu bewerten sei.[4] Ihre Ausbildung erfolgte laut Berichten unter anderem durch US-amerikanische „Spezialisten für Nahkämpfe und verdeckte Operationen (…) in Trainingscamps in Mittelamerika, im Hinterland Mexikos und in den Wäldern Guatemalas“. Militärs bezeichnen die Einheit intern als „Rambolinos“ – kleine Rambos. Dies lässt erkennen, dass die militärische Anbindung an die westlichen Kriegsbündnisse mit einer Brutalisierung der einst rein defensiv ausgerichteten Schweizer Streitkräfte einher geht.

Seit April vor Ort?

Wie die Schweizer Presse undementiert erklärt, trainieren zwei Schweizer Soldaten, mutmaßlich Angehörige des AAD 10, schon seit April unter deutschem Kommando für die Piratenbekämpfung. Trainiert werde, heißt es, in Kenia, wo den Berichten zufolge die Bundeswehr einen Stützpunkt für deutsche „Anti-Terror-Kräfte“ betreibe.[5] Ob es sich um gemeinsame Kriegsübungen mit dem Bundeswehr-KSK handelt, dem das AAD 10 nicht nur hinsichtlich seiner Ausrüstung ähnelt, ist wegen der Geheimhaltungspraxis der Bundeswehr und deren Schweizer Partnern nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass die Polizei-Spezialeinheit GSG 9 kürzlich von einer Basis in Kenia in einen Einsatz startete. Es handelte sich um eine (kurzfristig abgebrochene) Aktion zur Befreiung von Geiseln, wie sie auch das AAD 10 durchführen kann.

[1] Schweizer an vorderster Front in Somalia; Berner Zeitung 23.04.2009
[2] Willkommen bei der SWISSCOY; www.vtg.admin.ch
[3] s. dazu Das Ende der Neutralität (III)
[4] Los Rambolinos; Die Weltwoche 35/2006
[5] Schweizer Soldaten in Afrika gelandet; Blick 10.06.2009

german-foreign-policy.com, 01. Juli 2009

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