»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Zur Zusammenarbeit bringen

Mit einem deutsch-libanesischen Großmanöver vor Beirut hat Berlin die Hochrüstung der Außengrenzen des Libanon forciert. Bei der Militärübung nahm die libanesische Marine in der vergangenen Woche zwei Patrouillenboote sowie Radarapparate zur Küstenüberwachung in Betrieb. Die Geräte stammen aus Deutschland. Mit der Lieferung ergänzt die Bundesregierung Maßnahmen zur Abschottung der Landgrenzen zwischen Libanon und Syrien, die auf die Kontrolle des strategisch wichtigen Bekaa-Tals zielen. Dort verfügen Syrien sowie die antiwestliche Hisbollah über großen Einfluss. Mittlerweile sind neben der Bundeswehr auch das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei und die Bundeszollverwaltung im Libanon präsent. Berlin gibt vor, die Einheiten zur Stärkung der libanesischen Souveränität zu entsenden. Tatsächlich richten die Aktivitäten sich gegen Damaskus, das aus dem Libanon verdrängt werden soll, weil es sich westlichen Plänen zur „Neuordnung“ des Nahen und Mittleren Ostens widersetzt.

zusammenarbeit

Libanonkrieg

Die Berliner Einflussarbeiten, die mit dem deutsch-libanesischen Großmanöver der vergangenen Woche einen neuen Höhepunkt erreichten, begannen bereits unmittelbar nach dem Zweiten Libanonkrieg im Jahr 2006. Ohne Mandat wurden innerhalb von wenigen Tagen Beamte der Bundespolizei und der Bundeszollverwaltung auf den Beiruter Flughafen verlegt, um die libanesischen Sicherheitskräfte zu „unterstützen“. Berlin wollte auch Einheiten der Bundespolizei an die syrisch-libanesische Grenze verlegen, konnte sich damit jedoch zunächst nicht durchsetzen.[1] Syrien wehrte sich von Anfang an gegen westliche Präsenz nahe seiner Grenzen und drohte, entsprechende Stationierungsmaßnahmen seitens der NATO-Mächte als „feindlichen Akt“ einzustufen. Berlin ist es dennoch gelungen, schrittweise sämtliche einschlägigen Organe der deutschen Repressionspolitik in den Libanon zu entsenden und die Abschottung des Landes gegen Syrien einzuleiten.

UNIFIL II

Entsprechende Maßnahmen der Bundesregierung beschränken sich längst nicht mehr auf den Bundeswehreinsatz vor der libanesischen Küste (UNIFIL II), für den bis zu 1.400 Soldaten vorgesehen sind. Offiziell dient die Militärpräsenz dazu, Waffenlieferungen an die Hisbollah-Miliz zu unterbinden. Bei insgesamt mehr als 8.000 Marinekontrollen wurde bis heute kein einziges Schiff mit Rüstungsgütern aufgebracht. Stattdessen setzen die deutschen Truppen inzwischen Militärberater bei der Armee des Libanon ein. Kürzlich wurden zwei deutsche Patrouillenboote und deutsche Radargeräte zur Küstenüberwachung an die libanesische Marine übergeben – nicht im Rahmen des UNO-Mandats, sondern auf bilateraler Ebene. Bereits am 29. Oktober fand im Beisein des deutschen Verteidigungsministers Jung ein gemeinsames Manöver der Seestreitkräfte beider Länder statt.[2] In der vergangenen Woche nutzte die Bundeswehr ihren offiziellen UN-Auftrag erneut für deutsch-libanesische Militärübungen. Das Großmanöver zur Seeraumüberwachung, an dem libanesische Schiffe und Marineinfanteristen, eine Kommandozentrale in Beirut, mehrere Küstenradarstationen und Einheiten der deutschen Marine teilnahmen, wird von deutschen Militärs als erfolgreich bewertet.[3]

Bekaa-Ebene

Auch die Landgrenzen des Libanon werden seit geraumer Zeit mit deutscher Hilfe hochgerüstet. Deutsche Bundespolizisten und Zollbeamte [4] instruieren die libanesischen Grenzbehörden zwecks Abschottung gegen Syrien, Berlin liefert die nötige Kontrolltechnologie. Wie der deutsche Botschafter in Beirut erklärt, geht es „darum, vier libanesische Institutionen im Sicherheitsbereich“ – die Streitkräfte, die Polizei, den Zoll, die Grenzgendarmerie – „zu einer koordinierten Zusammenarbeit zu bringen“.[5] Zunächst finden die Maßnahmen noch an der libanesischen Nordgrenze statt, doch ist eine Ausweitung auf die Bekaa-Ebene bereits im Gespräch.[6] In der Bekaa-Ebene im Osten des Libanon befinden sich die „Hauptstadt“ und das Rückzugsgebiet der Hisbollah-Miliz; zudem unterhält die dortige Bevölkerung traditionell besonders enge Beziehungen nach Syrien. Der Kontrolle über den Grenzverkehr in der Bekaa-Ebene kommt daher ein hoher strategischer Stellenwert zu. Zugleich offenbart die angestrebte Abschottung der Bekaa-Ebene den Zweck des Unternehmens: Syrien soll seinen Einfluss im Libanon verlieren und machtpolitisch weiter zurückgedrängt werden. Dies erklärt das Schweigen in Berlin und Washington über den kürzlich vollzogenen israelischen Luftschlag gegen Syrien.

„Ziviler Wiederaufbau“

Die militärisch-polizeilichen Maßnahmen Berlins schließen an die bisherige Repressionskooperation an. So sind schon seit Jahren Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes (BKA) in Beirut stationiert; Vorwürfe, denen zufolge deutsche Polizeibeamte dort mit libanesischen Folterern kooperierten, sind bis heute nicht aufgeklärt.[7] Die Einflussarbeit der Repressionsapparate wurde von Aktivitäten der „Zivilschutzbehörde“ Technisches Hilfswerk (THW) begleitet. Das THW weitet seit rund 20 Jahren seine Auslandsaktivitäten stetig aus und flankiert oft Einsätze der Bundeswehr. Im Libanon hatte es seine Basis in Nabatäa, einem Ort nahe der syrischen Grenze, und widmete sich vor allem der Instandsetzung der Wasserversorgung.[8] Privater Gewinn als Folge der staatlichen deutschen Instandsetzungsarbeiten wird nicht ausgeschlossen: Die Bundesagentur für Außenwirtschaft schreibt derzeit Wasserinfrastrukturprojekte im Libanon aus.

Hungersnot

Die Geschichte der deutschen Militärpräsenz in der Levante reicht bis zum Ersten Weltkrieg zurück. Damals waren deutsche Soldaten gemeinsam mit Truppen des verbündeten Osmanischen Reichs zum ersten Mal im Libanon im Einsatz. Unter anderem baute die kaiserliche Armee den ersten Flughafen auf libanesischem Boden. Der heute Rayak Air Base genannte Stützpunkt ist derzeit die wichtigste Basis der libanesischen Luftwaffe.[9] Die deutschen und die türkischen Streitkräfte trugen während der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs mit der Requirierung von Lebensmitteln zu einer Hungersnot bei, die fast ein Viertel der Bevölkerung des Libanon – rund 100.000 Menschen – das Leben kostete.

Vichy

Nach der Niederlage der Mittelmächte verlor Berlin zunächst seinen Einfluss im Nahen Osten, bis im Zweiten Weltkrieg große Teile der Levante dem Deutschen Reich zunächst kampflos zufielen: Nach der Niederlage Frankreichs im Jahr 1940 bekannten sich die französischen Mandatsgebiete des Libanon und Syriens zur Kollaborationsregierung in Vichy. In den „Pariser Protokollen“ vom Sommer 1941 sicherte Vichy Berlin zu, die französischen Militärkapazitäten, Häfen und Eisenbahnlinien im Libanon und in Syrien nutzen zu können.[10] Tatsächlich startete die deutsche Luftwaffe von Syrien aus Bombardements, um einen antibritischen Aufstand im Irak zu unterstützen. Truppen Großbritanniens und des Freien Frankreich gelang es schließlich noch im Jahr 1941, den Irak, Syrien und den Libanon zu befreien – trotz deutscher Waffenlieferungen für die Berlin-treuen Vichy-Truppen.

Der dritte Versuch

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es lange als dauerhaft ausgeschlossen, dass deutsche Truppen in der unmittelbaren Nachbarschaft Israels eingesetzt werden könnten. Der im vergangenen Jahr begonnene Einsatz und das Großmanöver der vergangenen Woche sind Teil des dritten deutschen Versuchs, in der Levante auch militärisch Fuß zu fassen.

[1] s. dazu Bürgerkrieg
[2] A joint maneuver between the Lebanese naval forces and German naval forces; www.lebarmy.gov.lb 29.10.2007
[3] Premiere vor der libanesischen Küste; einsatz.bundeswehr.de 16.11.2007
[4] Zollhilfe für Libanon wird fortgesetzt; Pressemitteilung des Bundesfinanzministeriums 27.07.2007
[5] Souveränität stärken, Grenzen sichern; www.dradio.de 14.10.2007
[6] Kaum zu kontrollierendes Niemandsland; Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.06.2007
[7] s. dazu Die Folterer, Und warten noch immer und Praktische Unterstützung
[8] Kaum zu kontrollierendes Niemandsland; Focus Online 05.09.2006
[9] The first Airport; www.lebarmy.gov.lb
[10] The Oxford Companion to World War II, Oxford 1995 (Oxford University Press)

Bild: Indonesische UNIFIL II-Soldaten vor dem Abflug in den Libanon (13.11.2006).
Picture: Indonesian soldiers en route to Lebanon to support the United Nations Interim Force in Lebanon (11.13.2006).

This picture is in the public domain in the United States because it is a work of the United States Federal Government under the terms of Title 17, Chapter 1, Section 105 of the US Code.

german-foreign-policy.com, 19.11.2007.

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